23. April 2017

738. Garage Trienniale

So toll einladend sah das grusige Wetter schon zu Hause aus dem warmen und trockenen Wohnzimmer heraus betrachtet nicht aus. Der innere Schweinehund kläffte was das Zeug hielt, aber unterlag schliesslich (wettermässig zu Unrecht!). Der Bus M1 wurde dann bei Vollregen draussen an der Haltestelle mit 26 Minuten Verspätung gemeldet, Stufe "Rot". 
Aber wir kamen mit der Metro gut an, der Schirm litt jedoch arg unter den Böen auf der Moskva-Brücke. Wir auch. 

 

Die "Garage" im Gorki-Park ist ein modernes Museum, das an diesem Sonntag geflutet war mit jungen Leuten, vielen sehr jungen Leuten (Schüler?). Die Kartenkontrolleurin gab uns eine Einführung in den Aufbau und die Säle, und dann stiessen wir als Erstes auf dieses Sandkorn-Ensemble der Micro-art-group "Gorod Ustinov" aus Izhevsk:

 

Unter Glas hatten sie verschiedene Kompositionen aus Sandkörnern, Federchen, Samen und Dornen gelegt. Ein Tisch war dem Publikum offen zugänglich, und man konnte sich selber mit Pinzetten versuchen!
Die dunkleren Streifen im Bild sind übrigens Interferenzen zwischen LED-Strahlern und iPhone-Kamera. 

Daneben hatte Olga Subbotina aus Perm ihre bestickte Textilkunst aufgebaut. Wir befinden uns beim grösseren/linken gelben Knopf. 

 

 

Die Impulserhaltung mit Glühbirnen von Nikolai Panafidin aus Chelyabinsk, eine Konstruktion namens Light Inertoid, war echte Gaudi!



Anatoly Osmolovsky aus Moskau bildete sich in seinem Golden Self-Portrait gleich selbst ab. Sein "Bischof" war im Detail mit vielen modernen Reliquien wie Smartphone-Bildschirmen verfremdet. 
Der Text auf dem Banner lautet "Sie sind nicht in Moskau".

 

Eine eindrückliche Installation hatte Vladimir Seleznyov aus Nizhny Tagil in einem eigenen Raum geschaffen. Metropolis Kazan zeigt im Hellen das Stadtbild von Kazan aus Plastikflaschen, im Dunkeln leuchten die phosphorizierenden "Fenster" der Häuser. 


Mayana Nazybullova aus Serov schafft seit 2012 an einer Reihe Current Amber, in der sie Alltagsgegenstände in Epoxidharz vergiesst und beschriftet. Eben, moderner Bernstein. Die Idee hat mir gefallen. 


Lustig waren die Kombinationen aus Photo und bunter LED-Installation (munter hinter der Photofolie blinkend!) von Anton Zabrodin aus Kaliningrad, hier Irony as a Landscape


 
Als Abschluss war ich sogar in einer "School vor Rave and Motion" mit Beschallungstrichter und Stroboskop. Hui!

17. April 2017

737. Risse (2)

Der Moment, in dem man aus dem Metroschacht auftaucht und - in relativer Ruhe - wieder Licht und Luft tanken kann, ist immer schön. Und man ist dann auch nahe dem Ziel einer kleinen Reise: auch gut!

Bei diesem Auftauchen in der Pushkinskaya heute abend schien die tiefe Sonne noch auf die abgeklebten Scheiben zur Tverskayastrasse. In zwei der blauen Plastikfolien waren Risse entstanden, die wie ein Stadtplan wirkten - das Bild musste ich haben! Dumm nur, dass direkt vor den Scheiben Rolltreppen nach unten fuhren, und nur ein ganz schmaler Zwischenraum zum Glas blieb. Und dort hatte ich sicher keine Zutrittsberechtigung, und das war auch gut so. Der Metro-Aufpasser war offensichtlich der gleichen Meinung, als ich mich trotzdem durchquetschte und schnell ein Bild machte. Aber er sagte nichts, und ich nickte ihm nur freundlich zu. 

Im Rückblick meine ich, das Risiko lohnte. Ein gutes Stadtbild. 

 

5. April 2017

736. Hotel Ukraina

Das renommierte Hotel Ukraina liegt an der Moskva, direkt gegenüber dem "Weissen Haus", dem Sitz des Premierministers (Medvedev). Man sieht das Weisse Haus im vorletzten Bild unten. 

 

Das Niveau des Hotels erkennt man nicht nur an den Lüstern in der Lobby, sondern auch am Niveau der integrierten Autohändler:

 

Im Rahmen einer Petrochemikalien-Konferenz wurde ich in die Bar im 31. Stock zum Apero eingeladen. Die Bar ist nach der Tochter eines bekannten Stuttgarter Automobilbauers benannt. Von dort oben bot sich in der Abendsonne ein wunderbarer Blick über die Stadt in alle Himmelsrichtungen. 

 

 

 

 
 

3. April 2017

735. Moskauer Tauwetter oder Московская оттепель (1953-1968)



Dies wird natürlich sicher kein Wetter- oder Klimabericht. 

Die sowjetische Tauwetterperiode setzte ein nach dem Tod Stalins (1953) und überdauerte die Absetzung Chruschtschevs durch seinen Nachfolger Breshnev (1964) noch für einige wenige Jahre. In diesen 10-15 Jahren entwickelten Künstler, Architekten und auch Politiker in der bisher erstarrten Sowjetunion eine bisher unbekannte Lockerheit, die von der Bevölkerung sofort aufgenommen wurde. Es ging ihnen auch wirtschaftlich besser ("Gulasch-Kommunismus"), und der technologische Fortschritt kam vielen zu Gute. Es zwitscherte ja nicht nur der Sputnik durch's All, es gab auch bunte (Polyester-)Kleider und stählerne Eisbecher mit beigem Bakelit-Stiel!

Das Moskauer Museum mosmuseum.ru hat dieser Periode eine kleine Ausstellung gewidmet, die wie ein Eintauchen in die eigene Jugend wirkte. Auch meine Eltern waren doch stolz auf heute untragbare Polyesterkleider und -hemden, und Nierentische mit nadelspitzen Beinen!

Die in dieser Tauwetterperiode erzeugten Bilder zeigten erstmals "ganz normale" Menschen in ihrem Alltag und ihren Konflikten und ihrer Freude. Davor wurde nicht gelacht auf den Bildern, man putzte sich nicht eitel für den Tanz, und die Strassen waren immer sauber. Nur Helden schafften es auf die Leinwand!

Junge Frauen auf dem Weg zum Tanz, selbstbewusst über den mit Brettern verdeckten Dreck stöckelnd.

Elektronische Entwicklungsarbeit im Labor, und Bauersfrauen im zeitgenössischen Film.

Blogautor mit einem super-schickem erdgrauem "Moskvich 403" Strassenkreuzer

Wohnungspläne für Familie (li) und kinderlose Ehepaare (!), beide mit Fläche von 54 m2

Die Tauwetterperiode war auch eine Zeit der Entkrustung der Architektur, die Abkehr der stalin'schen "Kommunalka" (mehrere Familien in einer Wohnung mit gemeinsamer Küche, Toilette, etc) hin zu einem mehr individuellen Lebensstil der modern geschnittenen und in internationalem Chic möblierten Familienwohnung. Die Chruschtschov-Häuser waren nicht direkt schön, aber hoch attraktiv. Und wenn ich es mir recht überlege, viele Jahre meiner Kindheit verbrachte ich in einem sehr ähnlichen Gebäude ...

Eine ganz eigentümliche Bilder-Konstellation des Kurators gab mir eine starke Assoziation: Der am Kran hängende Plattenbau-Container neben den Gemälden von Eiern liess mich die Wohnungselemente als schützende, immer gleich aussehende "Eizellen der Gesellschaft" sehen.

 

 

Die Tverskayastrasse im Zentrum Moskaus (Photo 2017 vs. Gemälde 1960, damals noch Gorkistrasse genannt) hat sich doch in den knapp 60 Jahren kaum verändert: rasende Autos brausen durch die Allee, buntgekleidete Spaziergänger flanieren auf breiten Trottoirs. OK, zugegeben: das Orange der modernen "Flaneure" waren beim Schnappschuss gestern  eher Kittel der Strassenreinigung. Aber sonst ...

Wenn man in einer der abgedunkelten Musik-Kabinen sass und zeitgenössischem Jazz lauschte, wurde man sogar selber "besichtigt": 

 

Fun Fact: Chruschtschev bei seiner berühmten Schuh-Rede in der UNO: "Nyet!" 


824: „Muß di ni argern, dann geit di dat goot“

Sinnspruch an der Wand des Glücklichen Matthias : Darunter schmeckte uns Pannfisch und Schlemmerteller (nein, nicht der vom Horst!).  Danach...