27. September 2015

Shostakovich gesucht, Khachapurtian gefunden.

Vielleicht ist dieser Blog der Anfang eines wunderbaren neuen Hobbys: Mikrogeschichte. Das wäre Erkundung von Geschichte nicht in ihren grossen Zügen, Zahlen und Personen (Schisma, 44 vor, 1822, Hannibal, Napolen, et al.) sondern in der persönlich unmittelbaren Umgebung und Wirkung. Ein paralleler Blog ist schon eingerichtet, aber noch nicht gefüllt und schon gar nicht öffentlich. Interesse?

Heute früh am Morgen ging ich durch die Bryusov-Gasse, ganz zentral in Moskau. Sie ist nur etwa 800 Meter lang, eine ruhige Seitengasse abseits der Hauptstrasse und Motorradrennstrecke Tverskaya. 




Der Namensgeber Yakov Bryus (er war eigentlich schottischer Graf und hiess Jacob Bruce) lebte in der Gasse im noch gut erhaltenen Eckhaus 1A zur Bolshaya Nikitskaya. Er war 1687-1721 unter Peter dem Grossen ein bedeutender Militärführer (u. a. auf der Krim und bei den Azov-Feldzügen!), aber auch Astronom und Alchimist. Er baute u.a. 1702 das erste Moskauer Observatorium in einem neuen Turm der Kremlmauer, und seine Bibliothek umfasste 1500 Bücher!

In dieser Bryusov-Gasse also soll Dmitri Shostakovich gelebt haben, dessen Musik ich schätze. Ich wollte das Haus finden, in dem er lebte. Um es kurz zu machen: ich fand es nicht. Keine der sonst so zahlreichen Bronzetafeln trug seinen Namen. Es ist aber belegt, dass er hier war, im Haus der Komponisten (Bryusov 8) im Jahr 1948 musste er zusammen mit Sergei Prokofiev und Aram Khachturian eine Entschuldigung für ihr "formalistisches" Schaffen vor dem ZK der KPdSU verlesen. 
Aram Khachaturian ist da schon präsenter, allein schon durch das unvermeidliche Mega-Denkmal des allgegenwärtigen Tchugashvili


und eine kleine Bronzetafel am Haus der Komponisten:


Haus Nr. 7 wurde 1935 erstellt, im Auftrag der Regierung für verdiente Künstler und realisiert durch den Architekten Aleksey Zhusev, der schon das Lenin-Mausoleum, die Lublyanka und die Metrostation Komsomolskaya geplant hatte. Bewohnt wurde es durch Künstler des nahen Bolshoi-Theaters oder des Tchaikovskiy-Konservatoriums, zB Sergei Vasilenko (1872-1956, Komponist):


Auch Maria Maksakova Sr. (Mezzo-Sopran, 1902-1974), dreifache Trägerin des Stalin-Preises und eine der wenigen sowjetischen Künstlerinnen, die im Ausland auftreten durften:


Die Nachbarin war die Harfenistin Ksenia Erdeli (1878-1971), die 20 Jahre lang Solistin am Bolshoi war, am Konservatorium unterrichtete, und dabei half eine qualitativ hochwertige sowjetische Harfenproduktion ("Selena") aufzubauen. 


1935 bis 1964 lebte in der Bryusov Nr 7 auch der Opernsänger Alexander Pirogov, der 1924 -1954 einer der meistbesetzten Bassisten am Bolshoi war, in der Paraderolle des Boris Godunov. 


Fedor Fedorovich Fedorovskiy (welch Name!) wohnte zeitgleich bis zu seinem Tod im Haus. Er war Bühnenbildner. 


Weiter zum Haus der Komponisten, Nr 12. Hier wohnte der Violinist Leonid Kogan, ein Freund David Oistrachs und Maria Callas'. Sein kraftraubendes Spiel wurde als "kaltes Feuer" bezeichnet. 


Auch der Chor-Komponist und -Dirigent Vladislav Sokolov (1908-1993) wohnte hier. 


Vasiliy Tikhomirov war Solotänzer und Choreograph am Bolshoi. Immerhin, man findet schon (alte) Videos von ihm und seiner Partnerin (doppelter Wortsinn!) Yekaterina Geltzer auf YouTube!


Ein kleines, von seiner Enkelin gepflegtes Museum im Haus 12, ganz nah an der Tverskaya, erinnert an den dort 1928-1939 wohnenden Schauspieler Vsevolod Meierhold (1874-1940). Er ging nicht "nach Canossa" und widerrief nicht seine künstlerischen Grundsätze - er verschwand 1939 beim KGB in der nahen Lublyanka und wurde 1940 dort hingerichtet. 


Diese Metalltäfelchen erinnern an in Ungnade gefallene Hausbewohner (hier Haus 17). Sie sind nicht so opulent wie die Tafeln der Stalin-Preisträger. Sie geben die Namen, Beruf, Daten der Geburt, der Verhaftung, der Freilassung und der Rehabilitation an. Nicht-Rehabilitierte haben wahrscheinlich immer noch keine Chance auf Täfelchen ...


Und das ist sie, die oben bereits erwähnte Yekaterina Geltzer! Nach der Scheidung zog sie wohl ins Haus 17 schräg gegenüber. 


Mstislav Rostropovich ist den Cello-Spielern unter uns ja bekannt. Das Denkmal steht gegenüber der Wiederauferstehungskirche von 1629, eine der ganz wenigen Moskauer Kirchen, die 1917 nicht geschlossen wurden. Das Denkmal wurde 2012 durch Putin eingeweiht!


In der Parallelstrasse zur Bryusov (Voznesenskiy 9) hängt diese Bronzetafel, die an die Lesung des "Boris Godunov" durch Aleksander Pushkin im Jahr 1829 in diesem Haus erinnert. Boris Godunov erschien in der kompletten Version im Jahr 1825. Pushkin wohnte hier auch, 1930. 


13. September 2015

COSMOSCOW 2015

Bereits das zweite Mal fand dieses Jahr die internationale Kunstmesse COSMOSCOW in der riesigen Lichthalle des Gostinny Dvor statt. 


Die Messe war optimal bei Tageslicht präsentiert und gut mit Galerien bestückt (naturgemäss waren darunter viele russische Galerien, aber auch welche aus Lithauen, Kazakhstan, England, und Deutschland). Das Publikum war eher upscale, und ich kannte die abschätzenden Blicke der Galeristen aus dem Exclusivkaufhaus Tzum. Sie gaben mir noch nicht mal die Chance zu Fragen, da ich in der Kategorie "Der kauft eh nix" eingestuft wurde. Korrekt!
Einige interessante Bilder habe ich gesehen, eines hätte ich möglicherweise auch gekauft (ich habe jedoch noch nicht einmal nach dem Preis gefragt, aus verschiedenen Gründen!). Aber weil es ja so schwierig ist über Kunst zu schreiben, lasse ich euch selbst ein Bild machen. 

Drei Tuschebilder:






Filz:




Den da hat's umgehauen! Sehr lebensnah gestaltet: 



Ölgemälde in Mosaiktechnik:


Der Text unten ist lang und Englich, ich weiss. Aber interessant ist er doch für jene, die die gegenwärtige Abkühlung der Blöcke mal aus ganz anderer Perspektive kennenlernen möchten. 


Was soll das denn?

Eine neue Mode ist ausgebrochen in Moskau. In allen neu hergerichteten Strassen und auch sonst werden die Strassenschilder nun auf 4 Meter Höhe ummontiert! 


Wir sahen keine unmittelbare Notwendigkeit für diesen Aufwand, und spekulierten über die Gründe. Zum einen kann es eine Initiative der Stahlrohr-Lobby sein, zum anderen Vandalenschutz oder Verbesserung der Sichtbarkeit für Doppelstock-Busse. Alles nicht so recht zwingende Gründe!

Spasskaya Bashnya 2015

Mittwoch abend war Show angesagt: der ganze Rote Platz war umgebaut  mit Tribünen für Zuschauer und Zeltstädten für 1500 Musiker aus aller Herren Länder. Es war die Woche des "Kremlin Military Tattoo", und wir hatten VIP-Karten! Wir wussten ja nicht, dass diese Karten zwar sehr gute Sicht und schönes Panorama bieten würden, gleichzeitig aber (da ungeschützt) uns über zwei Stunden einem steifen, kalten Wind aussetzen würden! Wir konnten am Ende kaum die Treppen hinunterlaufen, so kalt waren wir gefroren! Aber schön war's schon. Das Ereignis war natürlich bestens durchorganisiert und lief wie am Schnürchen. Licht, Ton und Pyrotechnik waren perfekt aufeinander abgestimmt, und die Musikanten bewegten sich gekonnt synchronisiert. 

Militätmusik ist ja eigentlich nicht so mein Ding und wird es auch nicht werden, aber die Show war schon einen Besuch wert. Seht selbst:


Und im Video mit Ton unter http://youtu.be/gGVvjv6ta2l


Die Königlich Belgischen Stelzenläufer, sehr beliebt und auch nach der Show für Photos zu haben:



Das Finale mit allen Teilnehmern und Feuerwerk:


Und im Video mit Ton unter http://youtu.be/W6T6TKlmSmw

In der Regel waren die Zuschauer gut gelaunt, trotz des Windes:



4. September 2015

Stadtführung mit Olga

Dienstag nachmittag und Mittwoch Vormittag genoss ich mal eine zünftige Stadtführung zu Fuss, mit Metro und Auto. Mit Olga und dem Chef meines Chefs, und sogar auf Deutsch. Das Programm hatte ich zwar grob geplant, aber es gab doch noch viele Überraschungen und Entdeckungen im Kleinen. Zum Beispiel eine vollkommen entvölkerte, aber voll aktive und blitzblanke Metrostation am "Park des Sieges":


Oder die bronzene Entenfamilie, die Barbara Bush "im Namen der amerikanischen Kinder den Kindern der Sowjetunion" 1991 geschenkt hat:


Oder Stadtskispringer im Regen des 1. September an den Sperlingsbergen vor der Uni (fern im Hintergrund die Akademie der Wissenschaften):


Oder den idyllischen Kreml-Garten, mit Helikopterlandeplatz für Ehrengäste des Präsidenten zwischen den Bäumen entlang der Moskva:




Der Rote Platz war leider völlig zugestellt mit Zelten für den Stadtgeburtstag und das Kremlin-Music-Tattoo vom Wochenende (unsere Tickets sind natürlich schon gekauft!):


Die Begräbnisstätte von Stalin u.a. hinter dem Lenin-Mausoleum jedoch war frei zugänglich und überraschend ruhig und beschaulich. 


Im Kaufhaus GUM assen wir sogar zu Mittag, das Café Koffeemania hat nämlich einen Weltklasse-Kaffee. Unser Gast entschied sich für den Hauptgang "Beef Stroganoff". Wir wissen ja alle wie Beef Stroganoff aussieht und schmecken sollte. Was er vorgesetzt bekam, waren jedoch ganz eindeutig Medaillons von der Schweinelende an Pilzsosse mit Risotto. Als wir die Kellnerin Elena fragten, ob dies wirklich Beef Stroganoff sein sollte, erwiderte sie (ohne mit der Wimper zu zucken), ja, das sei Beef Stroganoff gemäss der "sehr innovativen Neuen Russischen Küche"! Wir schnappten nach Luft, und die Schweinelendchen wurden in der Folge widerspruchslos gegessen. 
Vom Balkon der Koffeemania aus sahen wir, warum Wassermelonen Wassermelonen heissen:


Meine treue Gesundheits-App LARK berät mich neben Schlaf- ja auch in Ernährungsfragen, durch Analyse meiner Essgewohnheiten. Ich teste die künstliche "Intelligenz" aus Spass mal bis an ihre Grenzen aus, bis jetzt scheint sie nicht lernfähig zu sein, eher mechanisch und linear:


Und zu guter Letzt mein Aufenthaltsprofil dieses Jahres (alle Orte, in denen das iPhone länger als 2 Stunden mit einem WLAN gekoppelt war):


824: „Muß di ni argern, dann geit di dat goot“

Sinnspruch an der Wand des Glücklichen Matthias : Darunter schmeckte uns Pannfisch und Schlemmerteller (nein, nicht der vom Horst!).  Danach...