30. September 2017

761. Jus primae noctis

Es ist das Recht des ersten Abends in einem unbekannten Land, dass man der lokalen Küche huldigt. Keine Sorge, ich kenne die wahre Bedeutung des mittelalterlichen lateinischen Anspruchs wohl, werde ihn hier aber ganz anders interpretieren. 

Unsee Hotelzimmer ist wohl eines der besseren des Hauses, direkt gegenüber den zentralen Denkmälern und dem Präsidentenpalast. Wir haben also beste Aussichten, bei Tag und Nacht:




Zum Essen am ersten Abend hatten wir also georgische Küche gewählt, und machten uns über den Marktplatz auf den kurzen Weg. Der Marktplatz „Old Meidan“ war (und ist es auch noch als ich dies schreibe!) eine massive Disko, Halligalli pur. Immerhin leiden nicht nur wir unter den Bässen, sondern auch namhafte Firmen. 



Das Restaurant Sakhli #11 bot wirklich sehr gute Küche, frischen Kräuteralat und guten Wein. Und dazu ein Borjoli-Mineralwasser und Hausbrot mit Walnussöl zum Tunken … Wir konnten sogar noch (mit Jacken) draussen sitzen. 



Der Heimweg durch dunkle, unwegsame Gassen war schon fast vertraut, zumindest nicht weit. Oberhalb zur rechten Hand sahen wir immer den Burghügel mit seinen Denkmälern. 





Wer jemals dachte, die russische Einrichtung der knapp über dem Boden endenden Regen-Fallrohre wäre Blödsinn, der soll mal nach Tbilisi kommen! Hier wird er sehen, dass man das toppen kann: hier hören die Fallrohre direkt über dem Trottoir auf!!



Bei Regen weiss man dann wirklich nicht mehr, ob man mehr auf den Weg unten oder das Wasser von oben achten soll!

760. Endlich Urlaub!

Die lang ersehnte und geplante Urlaubsreise nach Georgien hat begonnen. Wir erreichten mit gepackten Koffern (geringeres Gewicht als sonst) den Flughafen Domodedovo. Er hat in der Passagierfreundlichkeit etwas nachgelassen, seitdem der jahrelang unbekannte und anfangs sehr dynamische Eigentümer „enttarnt“ wurde: eine nichtige Brandstiftung wurde zum Anlass genommen den Eigentümer wegen Sicherheitsmängeln vor Gericht zu stellen - da musste er sich outen, denn die Alternative wäre Schliessung des Flughafens gewesen! Der Brandstifter konnte leider nie ermittelt werden. So geht‘s eben auch in Russland!

Apropos Sicherheit: wir passierten 5 verschiedene Schleusen bis wir den internationalen Bereich/Lounge erreichten:
- Zugangskontrolle zum Flughafengebäude mit Durchleuchtung Gepäck und Scanner,
- Passkontrolle beim Einchecken,
- Zugangskontrolle zur Personenkontrolle (mit Stempel),
- Handgepäckkontrolle mit Scanner,
- Passkontrolle.
Am Gate und beim Boarding wird die Identität noch zweimal geprüft werden. Die unbemerkten Gesichtskontrollen über CCTV habe ich nicht mitgezählt. 

Naja, jetzt sitzen wir jedenfalls bei Wasser und Kartoffelbrei in der vollbesetzten Lounge, deren turbulente Stimmung mich etwas an ein All-Inclusive-Buffet in Antalya erinnert. VIP ist auch nicht mehr das was es mal war!



Wir werden fliegen mit Siberian Airlines S7, eine recht moderne und freundliche Linie. Bald kommt der Pusher auch für uns. 



10. September 2017

759. Zaryadye Park, umsonst

Das wohl grösste Einzel-Bauvorhaben für den Geburtstag der Stadt war die Wieder-Nutzbarmachung des jahrelang (seit 2006) brachliegenden Geländes des ehemaligen Hotel Rossiya neben der Basilius-Kathedrale. Bevor das Hotel mit 3000 Zimmern im Jahr 1967 hingeklotzt wurde, befand sich dort ein elender Slum bzw. Brache. Das Hotel Rossiya war bis 1990 das grösste Hotel der Welt, überholt wurde es  vom Excalibur in Las Vegas. 
Wir hatten den Baufortschritt aufmerksam verfolgt und immer mal wieder durch den Bauzaun gelinst. So sieht der Plan aus, mit russischen Landschaften (inklusive arktischem Eis!) und Konservatorium:



Gestern war also Eröffnung, und heute war ich bereit zur Besichtigung. Aber es wurde nichts draus, mein Spaziergang an der Moskva entlang war umsonst. Nur geladene Gäste waren zugelassen, mit zugewiesenem einstündigem Zeitfenster. Wie man zu einer solchen Einladungskarte kam weiss ich nicht. Es blieb mir nichts weiter übrig als nochmals durch einen Zaun zu linsen, um aber diesmal anderen Leuten bei der Erstbegehung der Aussichtsplattform zuzusehen. 







Aber dort unten gibt es jetzt völlig neue Perspektiven, in sehr attraktiver Umgebung. Noch ist alles etwas neu und steril, aber das kann werden. 





Ein Aktionskünstler (?) schneidet überall in der Stadt Augen in die Abdeckfolien für Häuser im Bau. 




9. September 2017

758. Geburtstagsparty "870"

Heute ist die grosse, seit langem vorbereitete Gründungsfeier der Stadt Moskau, 870 Jahre wird sie alt. Ist eigentlich kein so extrem runder Geburtstag, aber weil morgen das Stadtparlament neu gewählt wird, feiert man eben die Feste wie sie (noch in die eigene Wahlperiode) fallen. 
Die ganze Tverskaya bis zum Mayakovsky-Platz und Nebenstrassen waren grossräumig gesperrt, und es waren unglaublich viele Menschen da, offiziell 6,5 Millionen über den Tag verteilt. Ganz "zufällig" und entgegen der Wetterprognose schien wunderbare Sonne, wie immer bei grossen Moskauer Festen. 









Die Polizei und OMON kontrollierten den Zugang und lenkten die Besucherströme wie immer gnadenlos zwischen all den Attraktionen. 





Viel Wissenschaft und Medizin, Restaurants und Kultur, und besonders Weltraumtechnik zum Anfassen waren präsentiert. Das Sonnensystem ist leider nicht ganz massstabsgerecht, das hat aber möglicherweise nicht alle gekümmert. Und ein Rechenschieber war ausgestellt!









Natürlich war auch Presse und vor allem Fernsehen da, mal mit Sprecher und mal in der Vorbereitung (mit integrierter Ampel). 





Und sogar eine schwarz-rot-goldene Figur stand da, allerdings eher zusammenhanglos. 



Sehr gut angenommen wurden die Sitzgruppen mit Pflanzen, da konnte man gemütlich den Passanten zusehen - aus Kinderaugenperspektive!



6. September 2017

757. Amedisli

Tja, es herbstelt in Moskau. Temperaturen am Tag von 12° bei Nieselregen sind schon recht frisch. Und dazu wird es auch schon spürbar früher dunkel. Alles in Allem: ungemütlich!

Das ist die Zeit der Amedisli, hochdeutsch Pulswärmer. Aber wie die Wörter Velo oder Konfi ist Amedisli ein fest verankerter Helvetismus im Familienjargon. 

Gemäss des Schweizer Idiotikons kommt der Begriff (in regional unterschiedlicher Schreibweise) über Basel ("Ammedyysli") aus Frankreich, wo "amedis" eine Form enger Hemdärmel bedeuten soll. Den Ursprung hat das Wort wohl genommen aus dem Namen der Hauptfigur Amadis von Gallien einer 1684 uraufgeführten gleichnamigen Oper. 

Nun trug ich heute auf dem Weg ins Büro meine wärmenden Amedisli, und sie wurden natürlich von Kolleginnen sofort entdeckt: "Was ist denn das?" Meine Erklärungen verpufften und wurden durch ein resolutes "Sowas haben wir nicht in Russland. Wir kennen nur Pelz!" sofort gebodigt. 

Die dann gemeinsam erarbeitete (Wandtafel!) Transkription ins Russische schreibt sich übrigens амодислы. 

824: „Muß di ni argern, dann geit di dat goot“

Sinnspruch an der Wand des Glücklichen Matthias : Darunter schmeckte uns Pannfisch und Schlemmerteller (nein, nicht der vom Horst!).  Danach...