6. November 2015

Yaroslavl

Es war ganz einfach unser Hotel zu finden: es ist das einzige auf der Volga! Es ist nämlich ein Hotelschiff. Sehr bequem, ruhige Zimmer, und ein Balkon zum Fluss zu. Leider liegt vor dem Balkon noch ein zweites Schiff, so dass die Sicht nicht so toll ist. Naja. 


Heute morgen lag noch Nebel über dem Fluss, und ich sah wieder einmal zwei Vögel friedlich nebeneinander dahinziehen:


Für die mehr prosaischen Leser sei hier auch ein Frachter abgebildet, so sieht dann jeder etwas für sich Passendes schwimmen.


Zugegebener Vorteil: die Frachter kann man wenigstens ohne Zoom erkennen. 

Wir liefen den halben Tag durch die Altstadt und besichtigten Klöster, Kirchen und Museen. Wir begannen mit der Verkündigungs-Kathedrale gleich neben unserem Hausboot. Viel Weiss, und sehr üppig goldverbrämte Ikonen:




Im "Kloster der Wandlung des Herrn" waren wir in der Edelsteinkammer und auf dem Glockenturm, der einen wunderbaren Blick über die Stadt erlaubt.  Wenn man einen Platz vor den anderen Touristen ergattert hat ...


Die Kirche des Kazaner Frauenklosters bot überbordende Deckenfresken:


Und vor der Kirche von Elias dem Propheten fand eine Parade verschiedener militärischer und polizeilicher Organizationen statt. Leerstand wurde durch Kinder und Zivilisten aufgefüllt, die Marschdisziplin war entsprechend durchwachsen:


Aber dann ging's ins "Museum und Zeit". Wir bekamen 50% Rentnerrabatt, und verstanden so gut wie nichts von Führung und Demonstrationen der Uhren, Grammophone, Glocken und Bügeleisen. 


Wer entdeckt die beiden Fleischwölfe?


Nach einer Pause im Hotel geht es zum Znacht in die Stadt. "Gebrüder Grimm-Grill" oder tschechisches Brauhaus?

5. November 2015

Kostroma II - Abschied vom Stahl

Das Hotel "Old Street" entsprach wirklich in jeder Hinsicht gehobenen Ansprüchen. Ruhig, sauber, modern und mit guter, zentrumsnaher Versorgung der (wenigen) Gäste war es ein Schnäppchen. Es bot sogar ein mehrgängiges Frühstück umsonst an - bis auf den Kaffee, den musste man zahlen 
Wir schliefen lang, genossen Croissant-Frühstück (mit Kaffee) und fuhren nach dem Packen los, zum Ipatiev-Kloster ennet der Kostroma. 
Das Ipatiev-Kloster, rechts die Brücke über den gerade noch am seinen Gestaden erkennbaren Kostroma-Fluss an seiner Mündung in die Volga:


Das Kloster bietet einfache Museen und eine allerdings recht üppig goldgeschmückte Kirche. 


Die Ikonensammlung im Klostermuseum:


Ein besonderes Schmankerl für die graphologieinteressierten Leser dürften jedoch rezente Originaldokumente in Handschrift zweier russischer Präsidenten sei, Medvedev und Putin. Sieht man ja nicht alle Tage, und Gestaltung von Schriftbild, Umter- und Oberlängen sind aufschlussreich. Medvedev hat vergessen, dass er noch Platz für seinen Namen braucht:


Und Vladimir Putin lässt dafür genug Platz:


Am Zwickel zwischen Volga und Kostroma machten wir Rast und teilten uns einen Früchteriegel Marke FITFRUIT:



Wir stellten dort simultan fest, dass wir nicht mehr wie früher ernsthaft durch den Stahl von Industriegebieten wanderten, sondern jetzt eher kulturelle Aspekte bevorzugen. Der Abschied vom Stahl steht für vieles, ohne jedoch an Lebensphasen gebunden zu sein. Eher so eine Rotverschiebung ...

Die Gassen rund um das Kloster (und auch sonst in Kostroma) wurden gesäumt von winzigen, aber kunstvoll geschnitzten Häuserchen:


Über etwas enttäuschende Stationen der Leinen-Manufaktur und der Wohnung des Schneemädchens ("Da gehen wir aber nicht rein!") ging es zum Markt zurück, Mittag essen. Dort im Cafe vergass ich Adapter und Lightning-Kabel, sehr ärgerlich und teuer! Auf dem Markt kauften wir noch Trockenpilze und Sharon, bevor wir "die Hühner sattelten und nach Texas ritten, der Sonne entgegen". Wir fuhren nämlich genau nach Westen, und wegen der blendend untergehenden Sonne direkt vor uns sahen wir keine Ampeln mehr. Das war eine Gaudi!

Aber Lenin zeigt den Weg:


Und jetzt liegen wir in Betten auf dem Hotelschiff auf der Volga, mit (schlechtem aber immerhin) Blick auf den Fluss. 


Dieses Bild passte textlich nirgendwo. Titel: "Support you local dealership!"




4. November 2015

Kostroma I

Da heute in Russland Feiertag ist (Tag der Einheit), entschlossen sich die Eltern zu einem Ausflug ins verlängerte Wochenende. Die Tochter blieb schulpflichtig zu Hause. Unser Ziel war eine Etappe des "Goldenen Rings", der rund um Moskau zaristische Klöster und Profanbauten verbindet. Kostroma liegt auf diesem Ring, allerdings mit der grössten Entfernung (ca. 300 km, im "Perihelion") von Moskau. 


Die Stadt hat ein sehr gut erhaltenes Zentrum einer Handels- und Marktstadt. Riesige Hallenkomplexe mit Arkaden bote und bieten Platz für allerlei Zeug, Schuhe, Bücher und Obst. Wir erforschten am späten Nachmittag nur das Zentrum auf der nördlichen/linken Wolgaseite, morgen geht es zu einigen anderen Sehenswürdigkeiten. 





Die Wolga, hier nur ca. 800 Meter breit:







14. Oktober 2015

Achtung, frisch gestrichen!


Wieder mal ein Besuch in der Ostukraine, im Oblast Lugansk. Die Strassen sind schlechter geworden seit dem Besuch im Mai, der Transport schweren Kriegsmaterials hat (vor allem im Sommer) den Asphalt und den Unterbau zerstört, die als Hauptstrassen gedachten Wege sind von tiefen Spurrillen gekerbt. Nach dem nächsten Winter mit den zusätzlichen Frostschäden werden sie unbrauchbar sein. 
Statt fünf gibt es auf unserem Weg nur noch drei Checkpoints. Heute war Präsident Poroshenko in Severodonetsk angemeldet, da waren die Checkpoints dorthin alle besonders besetzt, aber nicht "schärfer" als im Mai. Die Soldaten auf Posten hatten sämtlich funkelnagelneue Uniformen an, noch kein einziges Mal gewaschen. 
Der frisch gestrichene Wachturm gefiel mir. Vielleicht wurde er auch zu Ehren Poroshenkos aufgefrischt, mag sein. Aber eigentlich finde ich es gut, wenn Soldaten Zeit haben sich um's Anstreichen der Wachtürme zu kümmern - das ist allemal besser als ihre eigentliche Aufgabe!

11. Oktober 2015

What a drag it is getting older.

Gestern abend in der Metro, Station Tulskaya, war es soweit: ein müder junger Mann stand von seinem Sitzplatz auf, um ihn mir anzubieten.
Fast noch schmerzhafter als die jähe Konfrontation mit dem von Anderen gefühlten eigenen Alter waren jedoch dann unsere nachträglichen Versuche, sein Verhalten als völlig selbstverständlich und aus der Situation heraus erklärbar zu begründen ("schwere Tasche").

Andererseits ist diese Höflichkeit in der Metro an einem Samstagabend an sich auch wieder wunderbar, Tasche und Alter hin oder her.

27. September 2015

Shostakovich gesucht, Khachapurtian gefunden.

Vielleicht ist dieser Blog der Anfang eines wunderbaren neuen Hobbys: Mikrogeschichte. Das wäre Erkundung von Geschichte nicht in ihren grossen Zügen, Zahlen und Personen (Schisma, 44 vor, 1822, Hannibal, Napolen, et al.) sondern in der persönlich unmittelbaren Umgebung und Wirkung. Ein paralleler Blog ist schon eingerichtet, aber noch nicht gefüllt und schon gar nicht öffentlich. Interesse?

Heute früh am Morgen ging ich durch die Bryusov-Gasse, ganz zentral in Moskau. Sie ist nur etwa 800 Meter lang, eine ruhige Seitengasse abseits der Hauptstrasse und Motorradrennstrecke Tverskaya. 




Der Namensgeber Yakov Bryus (er war eigentlich schottischer Graf und hiess Jacob Bruce) lebte in der Gasse im noch gut erhaltenen Eckhaus 1A zur Bolshaya Nikitskaya. Er war 1687-1721 unter Peter dem Grossen ein bedeutender Militärführer (u. a. auf der Krim und bei den Azov-Feldzügen!), aber auch Astronom und Alchimist. Er baute u.a. 1702 das erste Moskauer Observatorium in einem neuen Turm der Kremlmauer, und seine Bibliothek umfasste 1500 Bücher!

In dieser Bryusov-Gasse also soll Dmitri Shostakovich gelebt haben, dessen Musik ich schätze. Ich wollte das Haus finden, in dem er lebte. Um es kurz zu machen: ich fand es nicht. Keine der sonst so zahlreichen Bronzetafeln trug seinen Namen. Es ist aber belegt, dass er hier war, im Haus der Komponisten (Bryusov 8) im Jahr 1948 musste er zusammen mit Sergei Prokofiev und Aram Khachturian eine Entschuldigung für ihr "formalistisches" Schaffen vor dem ZK der KPdSU verlesen. 
Aram Khachaturian ist da schon präsenter, allein schon durch das unvermeidliche Mega-Denkmal des allgegenwärtigen Tchugashvili


und eine kleine Bronzetafel am Haus der Komponisten:


Haus Nr. 7 wurde 1935 erstellt, im Auftrag der Regierung für verdiente Künstler und realisiert durch den Architekten Aleksey Zhusev, der schon das Lenin-Mausoleum, die Lublyanka und die Metrostation Komsomolskaya geplant hatte. Bewohnt wurde es durch Künstler des nahen Bolshoi-Theaters oder des Tchaikovskiy-Konservatoriums, zB Sergei Vasilenko (1872-1956, Komponist):


Auch Maria Maksakova Sr. (Mezzo-Sopran, 1902-1974), dreifache Trägerin des Stalin-Preises und eine der wenigen sowjetischen Künstlerinnen, die im Ausland auftreten durften:


Die Nachbarin war die Harfenistin Ksenia Erdeli (1878-1971), die 20 Jahre lang Solistin am Bolshoi war, am Konservatorium unterrichtete, und dabei half eine qualitativ hochwertige sowjetische Harfenproduktion ("Selena") aufzubauen. 


1935 bis 1964 lebte in der Bryusov Nr 7 auch der Opernsänger Alexander Pirogov, der 1924 -1954 einer der meistbesetzten Bassisten am Bolshoi war, in der Paraderolle des Boris Godunov. 


Fedor Fedorovich Fedorovskiy (welch Name!) wohnte zeitgleich bis zu seinem Tod im Haus. Er war Bühnenbildner. 


Weiter zum Haus der Komponisten, Nr 12. Hier wohnte der Violinist Leonid Kogan, ein Freund David Oistrachs und Maria Callas'. Sein kraftraubendes Spiel wurde als "kaltes Feuer" bezeichnet. 


Auch der Chor-Komponist und -Dirigent Vladislav Sokolov (1908-1993) wohnte hier. 


Vasiliy Tikhomirov war Solotänzer und Choreograph am Bolshoi. Immerhin, man findet schon (alte) Videos von ihm und seiner Partnerin (doppelter Wortsinn!) Yekaterina Geltzer auf YouTube!


Ein kleines, von seiner Enkelin gepflegtes Museum im Haus 12, ganz nah an der Tverskaya, erinnert an den dort 1928-1939 wohnenden Schauspieler Vsevolod Meierhold (1874-1940). Er ging nicht "nach Canossa" und widerrief nicht seine künstlerischen Grundsätze - er verschwand 1939 beim KGB in der nahen Lublyanka und wurde 1940 dort hingerichtet. 


Diese Metalltäfelchen erinnern an in Ungnade gefallene Hausbewohner (hier Haus 17). Sie sind nicht so opulent wie die Tafeln der Stalin-Preisträger. Sie geben die Namen, Beruf, Daten der Geburt, der Verhaftung, der Freilassung und der Rehabilitation an. Nicht-Rehabilitierte haben wahrscheinlich immer noch keine Chance auf Täfelchen ...


Und das ist sie, die oben bereits erwähnte Yekaterina Geltzer! Nach der Scheidung zog sie wohl ins Haus 17 schräg gegenüber. 


Mstislav Rostropovich ist den Cello-Spielern unter uns ja bekannt. Das Denkmal steht gegenüber der Wiederauferstehungskirche von 1629, eine der ganz wenigen Moskauer Kirchen, die 1917 nicht geschlossen wurden. Das Denkmal wurde 2012 durch Putin eingeweiht!


In der Parallelstrasse zur Bryusov (Voznesenskiy 9) hängt diese Bronzetafel, die an die Lesung des "Boris Godunov" durch Aleksander Pushkin im Jahr 1829 in diesem Haus erinnert. Boris Godunov erschien in der kompletten Version im Jahr 1825. Pushkin wohnte hier auch, 1930. 


824: „Muß di ni argern, dann geit di dat goot“

Sinnspruch an der Wand des Glücklichen Matthias : Darunter schmeckte uns Pannfisch und Schlemmerteller (nein, nicht der vom Horst!).  Danach...