30. März 2014

Umzug zieht auf!

Mit grosser Unlust hab ich gestern das Einpacken begonnen. Nicht dass ich ungern packen würde (das auch, im doppelten Wortsinn mit Betonung auf "Packen" oder "Gern"). Das Packen ist diesmal mental aussergewöhnlich kompliziert. 
Zum Einen ziehe ich zeitgleich mein Büro und mein Apartment um. Überall Kartons für zwei Wochen. Zum Anderen ziehe ich Ende des Monats aus dem Apartment nicht einfach an einen neuen Standort, sondern zeitlich gestaffelt an mehrere. Bei allem, was ich jetzt hier einpacke, muss ich nachdenken und entscheiden ob ich es brauche: 
  1. in den nächsten vier Wochen in Polen? 
  2. unmittelbar danach auch in Moskau?
  3. zwischen Mai und Juli in Moskau?
  4. überhaupt in Moskau, oder erst im Juli in der Dauerwohnung?
  5. überhaupt?
Beispiele für 1 und 2 ist zB Medizin ("Ohne mein Voltaren mache ich keinen Schritt!") oder die Codegeneratoren für's Online-Banking. Beispiel für 3 sind die Unterlagen zum Anstellungsvertrag, aber auch die Nespresso-Maschine oder das Nähzeug. Beispiele für 4 sind Bücher (aber nicht alle, es gibt da auch Klassen 3 oder 5!) und Bettwäsche und die ganzen schönen Bilder und Gemälde. Und Klasse 5 kommt sofort gnadenlos weg (getrocknete Rosen, alter Kakao, und Strassenkarten von Lodz), oder in's Büro (der Kleiderständer). Je nach Klasse kommen die individuellen Sachen in einen anderen Karton (oder gar nirgendwo rein). Und die Kartons müssen korrekt und vollständig angeschrieben werden.

Ich hatte also überhaupt gar keine Lust auf diese ganze Entscheiderei, schob sie vor mir her - und dann war es doch recht einfach. Man muss nur wollen. Und schnell loslassen können.


Die Kartons und Folien werden gebracht. 

Der Flur im alten Büro in Zgierz.

Zeitgleich mit der Bauabnahme wurde die Firma heilig gesprochen.

Horror Vacui.

Der Grundstock für die Handbibliothek in Moskau: Stanislaw Lem, Annie Proulx, Heidegger, Rilke, und Celan.
Und ein Krimi.

29. März 2014

Kopenhagener Zoo lässt Tierpfleger (59) einschläfern

Kopenhagener Zoo lässt Tierpfleger (59) einschläfern

Kennt ihr auch alle den "Postillon"? Diese tolle Satirepublikation, die in sporadischen Abständen seit 1845 im Internet Artikel höchsten Komikgehalts publiziert, und dann auch noch diesen tollen Newsticker hat (siehe Titel und folgende Beispiele)?
Sehr empfehlenswert, wenn man meinen Sinn für kruden Nonsens teilt!

Beispiele aus dem Newsticker (mit Nummer der Ausgabe):

Auf der Straße gelandet: Fluggesellschaft feuert unfähigen Piloten (588)
Hat Fuß gefasst: Kampfhundwelpe etabliert sich (584)
E.T.: Alien verabscheut englisches Nationalgetränk (583)
Hing ihm zum Hals heraus: Mann schneidet sich die Zunge ab (581)
Truppen verlegt: General sucht seine Artillerie (581)

Kann nach Hause gehen: Angeblich Gelähmter bei Paralympics disqualifiziert (588)

19. März 2014

So ein Zufall!

Heute abend erfuhr ich von unserem Schweizerischen Rechtsanwalt in Moskau, dass "wegen IT-Problemen momentan keine Einladungen ausgestellt werden können".  Eine solche offizielle Einladung brauche ich aber, um ein permanentes Visum zu erhalten. Und ich brauche ein permanentes Russisches Visum um beim Amtsgericht als Geschäftsführer eingetragen werden zu können. Und ohne diese Eintragung muss mein Vorgänger noch im Amt bleiben, denn ohne zeichnungsberechtigten Geschäftsführer läuft in Russland gar nichts in einer Firma ...

Ist doch schon ein Zufall, dass diese blöde IT gerade im Moment der Verhängung der Einreisesperre für 21 Russen und Ukrainer in die EU kaputt geht. Und so IT-Zeug ist ja oft auch für längere Zeit kaputt, das kann schon passieren!

9. März 2014

Vom Eise befreit ...

Heute morgen schien die Sonne so schön, dass wir unbedingt raus mussten! In E. war es um Neun Uhr schon 12 Grad warm. Der Himmel war himmelblau, und das Gras auf den Wiesen lag noch wie eine pomadisierte Frisur auf dem Boden. Es hatte noch keine Zeit gehabt sich nach der Schneelast wieder aufzurichten.
Der erste Vorschlag für ein Ziel war der Palmengarten. Das wurde aber wegen erwarteten Andrangs verworfen. Statt dessen ging's dann auf den Grossen Feldberg hoch. Dort war merkwürdigerweise gar kein Gedränge, nur ein paar Jungs mit ihren Motorrädern und -rollern. Die Bergwacht sass auf dem Recliner vor dem Rettungshaus, und lud die Batterien der Ambulanzen. 
Auf dem Weg nach oben, noch im Wald, wurde Ulrike von einem Schwarm Killerzecken angegriffen. Oder irgendwas ähnliches, schwarzes. Die Ursache des Angriffs war ich, weil ich vor ihr gelaufen war und das ganze Inferno ausgelöst hatte. Es muss recht eklig gewesen sein, in so einer Wolke aus schwarzen Partikeln!
Wir wanderten etwas auf dem Plateau und setzten uns - Richtung Oberreifenberg - auf eine Holzbank. Dort liess es sich trefflich über Erziehung schwadronieren, umgeben von quengelnden Kindern.
War ein schöner Ausflug. Machen wir viel zu selten.






SEV - Severodonets'k

Gester Freitag bin ich am Abend aus Donetsk kommend über München in Frankfurt gelandet. Der Flug zieht sich schon, es waren 2 h 40' für die erste Strecke. Aber es war kurzweilig, denn ich kam wegen des Essens (heisses Pizzabrötchen) ins Gespräch mit meiner Nachbarin, einer Russin. Sie stellte sich in astreinem  Englisch als die Verantwortliche für Umweltschutz und Arbeitssicherheit einer Stahlfirma vor. Im Laufe des Gesprächs stellte sich dann heraus, dass diese Stahlfirma global über 100'000 Mitarbeiter hat, und sie nach dem Studium in den USA noch den MBA am Kingston College in London gemacht hatte ... Sie war geboren nördlich des Polarkreises in Murmansk, und sie erzählte auch etwas über das Leben in Helle und Dunkelheit, je nach Jahreszeit.

Der Sergej Prokofiev Flughafen ist schön aber leer. Donetsk ist ja die Heimatstadt von Janukovich, da brauchte es zur Fussbal-EM natürlich ein neues, grösseres Gebäude!

Den Tag selber verbrachten wir im Werk, mit einer schwierigen Diskussion über zwei Projekte, die wegen landesüblicher Schwierigkeiten mit den Behörden und den Forderungen der Beamten nicht vom Fleck kamen. Wir besuchten auch noch den vor zwei Monaten stillgelegten Teil der Produktion, und kraxelten dort bei strahlender Sonne bis auf die Platform des Daches. Hier konnte man ungestraft photographieren, unten ist es ja verboten wegen der werkseigenen Produktionsstätte für hochkonzentrierte Salpetersäure (Raketentreibstoff!). Da standen wir dann, Management in grünen und Produktion in weissen Helmen:



Die Panoramen von dort oben zeigen die Grösse des Werks recht gut. Nur zoomen darf man nicht, dann sieht man das Elend einer Industriebrache ...



Unser Werk ist im zweiten Panorama der höhere helle Bau mit den roten Ablufttöpfen auf dem Dach, rechte Bildhälfte, weit hinten.



Auf der Rückfahrt auf der rumpeligen Bundesstrasse H-20 (die ganze Ukraine ist drei mal so gross wie Deutschland und hat angeblich nur 18 Kilometer Autobahn!) machten wir in Artemivs'k Zwischenhalt im Fabrikverkauf der "Artemovsk Winery", der grössten Sektherstellung Osteuropas. 30 Millionen Flaschen Sekt liegen jederzeit in 72 Metern Tiefe auf einer Lagerfläche von 25 Hektar. Wir kauften eine Flasche trockenen, roten Sekt, und tranken ihn heute zu Ehren des Weltfrauentages und von Ulrikes Geburtstag: 700 Monate!

6. März 2014

So voller Hoffnung ...

... ist die Ukraine, so voller Hoffnung.

Ich fühle mich wirklich sicher hier, der Tag war fast normal.
Das Flugzeug von Moskau nach Kiew war proppevoll mit ganz normalen Reisenden, kein Platz war unbesetzt. Die Landung in Kiew war regulär, wir wurden vom Firmenfahrer empfangen. Auf der Fahrt gab es eine einzige Streife mit Gewehren, die an der Hauptstrasse stand, sonst war alles wie gewohnt. Wir verbrachten den Tag im Büro mit Gesprächen und gingen zum Lunch in das benachbarte Steakhaus, wie gewohnt.  Beim Mittagessen sassen uns die zwei ukrainischen Mitarbeiter gegenüber und wir sprachen natürlich über die Situation des Landes, ihres Landes. Sie waren mit voller Überzeugung dabei. Sie waren selber auf dem Majdan gewesen, hatten dort neue Freunde gemacht, und glauben ganz fest an eine gute Zukunft. Ihre Position ist, dass der Majdan eine Bewegung der Mittelschicht ist, die endlich ohne die ewige Bestechung frei leben will. Es war überwältigend, mit welcher Inbrunst sie diese Position vertraten. Es sind beide keine "jungen" Leute gewesen, so in meinem Alter, aber sie hatten das Feuer der Überzeugung in ihren Augen. Sehr motivierend!
Wir flogen am Nachmittag mit UTAir von Kiew nach Donetsk weiter, ich schlief die 90 Minuten in einer schnurrenden Turbopropmaschine. Am Flughafen Kiew gab es die bisher einzige Strassensperre: 10 Mann einer bunt-gemischten Bürgerwehr in Tarnanzügen hatten aus Reifen und Brettern eine Barrikade gebaut und inspizierten grimmig blickend alle Fahrzeuge. Wenn das die neue Regierung ist, dann gibt es hier noch viel zu tun! Wir waren jedoch anscheinend nicht ihre Zielgruppe und passierten ohne Kontrolle.
Wir kamen gut am Sergej Prokofiev Flughafen in Donetsk an (das mit seinen 1,1 Millionen Einwohnern so gross ist wie München, und eine starke Kohle-und Stahl-Industrie hat), und der lokale (uzbekische) Werks-Chef hatte uns einen Fahrer geschickt. Allerdings hatte er heute zu unserer Beruhigung den Chef der Werkssicherheit mitgegeben, so ein typischer drahthaariger 1,90-Mann in einer Bomberjacke, der bei jedem Halt an einer Tankstelle ersteinmal das Gelände sicherte bevor wir aussteigen durften. Vor dem Flughafen gerieten wir in einen laut hupenden Autokorso mit ukrainischen Fahnen, der fast fröhlich seine Runden durch die Stadt zog.
Das Hotel, in dem ich gerade schreibe, gehört dem lokalen Oligarchen, wie auch die Tennishalle auf der anderen Strassenseite. Wir checkten ein, und trafen uns gleich wieder mit dem Fahrer (und Security) um zum Dinner ins шале zu gehen, es war sehr gediegen dort, wenn auch etwas diskomässig. Das Essen war lecker, die sauren Pickles (grüne Tomaten und Wassermelone) hervorragend. Natürlich wurde kräftig reihum getoastet, der uzbekische Werkleiter, sein russischer Produktionsleiter, die ukrainische Dolmetscherin und Qualitätsverantwortliche, und die beiden deutschen Gäste waren sich in der Beurteilung der Lage meist sehr einig und stiessen an auf die Zukunft und den Frieden. Wir stiessen oft an, um Mitternacht war ein Liter Wodka weg (zu Viert!). Da ich jedoch nur Wasser dazu trank, und das auch immer gleich nach den Trinksprüchen, fühle ich mich jetzt nach der kurzen Nacht zwar angeschlagen, aber durchaus fit. Der Kollege J. trank Bier zum Wodka, und er dürfte sich nicht so toll fühlen heute.

Es war richtig den Besuch jetzt zu machen. Die Kollegen vor Ort schätzen unser Bekenntnis zum Land durchaus und tun alles um uns sicher zu halten.

3. März 2014

Von der wohltuenden Wirkung alter Briefumschläge

Wieviel Anspannung ist normal, was mag man noch vertragen, und wann hört den Spass auf?

In den letzten Wochen, eigentlich weiss ich nicht wann genau es angefangen hat, laufe ich auf Hochtouren. Wie ein Motor, bei dem jemand Vollgas gibt und die Kupplung noch ein wenig schleifen lässt. Ich komme voran, bei hohen Touren, aber bei weitem nicht so produktiv und schnell wie die Anspannung erwarten lassen würde. Die Tage, lange Tage, vergehen wie im Flug. 
Zum Glück, und das meine ich jetzt fast wörtlich, habe ich meine Durchstreichliste auf Schmierpapier. Jeden Tag am späten Nachmittag, wenn ich schon alleine im Gebäude bin und sich vieles beruhigt, fische ich einen alten Briefumschlag aus dem Papierkorb und kritzele auf die Rückseite meine Vorsätze und Arbeiten für den nächsten Tag. Als erstes werden die noch-nicht-erledigten Aufgaben des zu Ende gehenden Tages auf den neuen Briefumschlag übertragen, und meist sind es erstaunlich wenig. Damit habe ich einen ersten Erfolg. Und richtig gut fühlt es sich an den täglichen Briefumschlag mit allen "erledigt" Vermerken wieder in den Papierkorb segeln zu lassen. 

"Done! Over and out!"

Dann kommt der kreative Teil, die Aufgaben für den nächsten Tag zu finden, zu formulieren und auf dem neuen Couvert aufzulisten. Meine Erfahrung ist, dass genaue Formulierung hilft, und auch die Segmentierung grösserer Projekte in handhabbare Teilaufgaben. Also nicht "Büro aufräumen" planen, sondern "Kabelsalat weg" und "Produktausstellung auf dem Sideboard eindampfen". Ich halte die Texte meist schon kürzer, aber Verben kommen durchaus vor. Die Listung dauert nicht länger als 5 Minuten, gut investierte Zeit.

Am nächsten Tag dann liegt das vollgekritzelte Couvert dann da, und immer, wenn nichts Unvorhergesehenes hereinschneit, arbeite ich die Aufgaben ab. Darin lasse ich mich dann auch kaum unterbrechen, es gibt aber Ausnahmen. Der schönste, genussreichste Augenblick ist dann, wenn die Enter-Taste gedrückt ist und ich die Aufgabe durchstreichen kann. Das ist ganz wichtig: Erledigtes ausradieren aus den Aufgaben, streichen, vergessen! 

Pflichten physisch löschen.

Schlaufe zum Anfang. Meine Listen werden jetzt immer länger, immer mehr ist zu übertragen, immer mehr kommt untertägig dazu und drängt sich auf die Tagesliste. Nicht-Notiertes wabert duch den Kopf und stört. Das fühlt sich nicht gut an. 

Ich arbeite eigentlich gerne auf Termine zu, so dass mir die Eröffnung des Werks, der unmittelbar folgende Umzug nach Moskau, und die Aufgabe des "Lebensmittelpunktes" in E. im Sommer durchaus machbar erscheinen. Aber offensichtlich habe ich ein höheres Sicherheitsbedürfnis dabei, so dass ich gerne sehr frühzeitig Weichen stelle und Grundsätzliches kläre. Das Ding mit dem letzten Drücker liegt mir gar nicht. Ich leide unter diesen unterschiedlichen Arbeitsphilosophien. Meine Mitarbeiter aber auch, die nicht in der Lage und Willens sind bereits im Dezember über die Gäste der Eröffnungsparty nachzudenken. Wenn ich die Synchronisierung nicht schaffe, dann kommen nämlich auch die Aufgaben der Mitarbeiter auf meine Liste ("das sollte längst erledigt sein, muss ich denn alles selber machen?").

Spiralschlaufe zum Anfang.

824: „Muß di ni argern, dann geit di dat goot“

Sinnspruch an der Wand des Glücklichen Matthias : Darunter schmeckte uns Pannfisch und Schlemmerteller (nein, nicht der vom Horst!).  Danach...