Kennt ihr die Tage, an denen man am besten gleich im Bett liegen bleibt? Heute war ein solcher Tag.
Der Regen, der dauerhafte Nieselregen mit einheitlich grauen Himmel, begleitete schon das Frühstück. Keine(r) von uns hatte daraufhin Interesse oder Lust irgendwohin einen Ausflug zu machen, es war einfach trübe. Nach etwa drei Stunden Gammelei (nein, immerhin habe ich das Service Pack 1 für Windows 7 auf Ulrikes Rechner installiert!) hörte es auf zu regnen und Ulrike und ich machten einen Ausflug durchs Dorf Rydzewo. Viel ist ja nicht geboten, ausser frischer Luft und Seeblick. Wir entdeckten ein Schild "Zur alten Schmiede", und beschlossen dorthin zu fahren zum Tee. Wir weckten Renja und fuhren die knapp 10 Kilometer in die Wildnis. Die Landschaft ist übrigens herrlich hier, viele Seen und kleine Hügel. Die "Alte Schmiede" war ein feines Lokal in einem alten Bau, von der Strasse her wäre niemand dorthin gefahren, denn die Häuser sehen von weiten eher heruntergekommen aus. Wir hatten den geplanten Tee, und ich hatte eine Hühnersuppe und hausgelegte Saure Milch. Dann kam uns der spontane Gedanke, zu den Wisenten zu fahren, und wenn wir schon dort sind die russische Grenze zu besichtigen. Also los.
Die russische Grenze ist 36 km von unserem Quartier entfernt. Kein Problem zu finden, denn es geht auf der Strasse 63 immer nach Norden. Ich erzählte auf der Fahrt noch munter von den alten SED-Offizieren, die an der Grenze als verkappte Aufpasser angesiedelt wurden. Als wir an die Grenze kamen, dachte ich noch an einen Grenzübergang, es stellte sich aber als Sackgasse heraus, die auf den letzten 300 m für nicht-ansässige Fussgänger und Autos völlig gesperrt war. Wir fuhren bis knapp vor den Schlagbaum und liefen die letzten 100 m. Wir sahen die Überwachungskamera und die beobachtende Bauersfrau schon, aber wir nahmen sie erst ernst als das Alarmsignal am Schlagbaum anfing zu lärmen. Wir machten schnell ein Photo und liefen zum Auto zurück. Als wir an der Bauersfrau in Kittelschürze vorbeifuhren, machte die ganz lässig ein Photo von uns mit ihrem Handy. Das gab uns kein gutes Gefühl. Und richtig, nach 4-5 Kilometern Fahrt hielt uns auf offener Strasse ein entgegenkommender Grenzwächter auf seiner 125 cm Cross an und verlangte alle Ausweise vom Auto, von mir und Ulrike. Es dauerte lange bis alle Identitäten geprüft waren (Ralph mit "ph" oder "f"?), und jetzt stehen wir sicher in den Grenzsystemen Europas als mögliche Schleuser oder so. Das Annähern an die europäische Aussengrenze zu Russland kostete uns 50 Euro Strafe. Am Ende bedankte ich mich beim Grenzpolizisten für seine Wachsamkeit, denn er hat seinen Job gut gemacht.
Der nächste Posten waren die Wisente (europäische Bisons) in einem der letzten grossen Urwälder Europas, der Blisker Puszta. Wir fuhren viele Kilometer durch besagten Urwald und fanden die Wildhüterstation nach langer Zeit und mit einem Quentchen Glück. Die Wisente waren eindrücklich gross und stanken wie Wisente. Wusstet ihr, dass alle 2'000 europäischen Bisons von 12 verbleibenden Exemplaren im Jahre 1927 abstammen? Auf dem Rückweg verfuhren wir uns in dem Urwald, keine Chance weiterzufahren als umzukehren und zum Ausgangspunkt zurück, die Strassen wurden immer schlechter, und das Navigationssystem war überfordert mit den Waldwegen. Sehr ungutes Gefühl: in der Wildnis ohne Navi!
Das vielleicht schlimmste Erlebnis heute war aber, dass mir auf dem Weg zu den Wisenten ein Wildhase vor das Auto lief und mit einem Reifen kollidierte. Wem so etwas einmal passiert ist, der vergisst den dumpfen Schlag nicht mehr, und der Anblick im Rückspiegel geht einem nicht mehr aus dem Sinn. Für uns alle drei war das Erlebnis schockierend (Renja ist noch jetzt überzeugt, es sei eine Katze gewesen und wir hätten halten/helfen sollen).
Nur das Gespräch nach dem Abendessen war dann doch noch gut. Das war auch nötig nach einem solchen Tag voller Pech und Fehlschläge. Morgen wissen wir noch nicht was tun, aber es wird besser!