31. August 2014

Der Winter kann kommen.

Ulrike und ich waren heute in der Petrovka spazieren, das ist eine edle Strasse parallel zur Tverskaya. Wie üblich sind auch dort die Trottoirs gegen parkierende Autos mit niedrigen, reflektierend-blau gestrichenen Pfosten abgegrenzt. Alle zwei Meter steckt ein solcher Pfosten nahe der Bordsteinkante im Asphalt des Trottoirs. Wir konnten heute beobachten, dass zwei städtische Arbeiter diese Pfosten entfernten: der eine fuhr mit einem Schaufellader markig gegen den Pfosten, so dass der Asphalt aufplatzte und der Kollege den Pfosten ganz leicht herausziehen und in die Schaufel legen konnte. Die Pfosten müssen entfernt werden, denn im Winter würden sie die Schneepflüge stören.

Heute ist der 31. August.

29. August 2014

Nachschnitt

Die politische Situation in Russland bezüglich der Ukraine kippt. Diskussionen werden polarisierter, und niemand rechnet ernsthaft (wie noch vor 2 oder 3 Wochen) mit einer Normalisierung innerhalb eines Jahres. Die Gräben werden vielleicht nicht tiefer, eher wird ihre Tiefe jetzt sichtbar. Und, ehrlich gesagt, ich meine wir sehen den Grund des Grabens noch nicht.
Heute mittag war ich eingeladen zum Mittagessen im Restaurant Mechta anlässlich des Besuchs des stellvertretenden Vorstands der Landesbank Baden-Württemberg in Moskau. Dabei waren zwei Russen, ebenfalls Geschäftsführer deutscher Firmen mit Büros im gleichen Gebäude (das der LBBW gehört). Befragt, wie sie die Situation sähen, reagierten beide wie aus einem Mund ungewöhnlich heftig, eindimensional und unvorsichtig mit dem Vorwurf, dass der ganze Konflikt in der Ukraine von "den Amerikanern" gesteuert würde. Ihre Stellungnahme (die ja sicher nicht vollständig falsch ist) stand dann im Raum, und sie wurden im weiteren Gespräch kaum noch eingebunden. Sie werden sich das merken, und so entwickelt sich eben der Graben. Der Vertrauensverlust ist schlimm und dauerhaft, es wurde und wird ja viel Porzellan zerschlagen!

Heute morgen war ich in der European Medical Clinic zur Nachsorge des Melanoms. Die Ärztin kontrollierte und verordnete wie erwartet sofortigen Nachschnitt in's Gesunde ("haben Sie heute nachmittag um Vier Zeit?"). Ich schaffte es gerade noch in's Büro, quer durch die Stadt, und zum erwähnten Mittagessen, dann lag ich schon auf dem Marmortisch. Die Klinik ist hochmodern, "man shprickt Inglisch", und liegt in einer Sackgasse (was freie Parkplätze findbar macht) - alles Top-Argumente! Ich konnte die Operation am Oberarm dann aus den Augenwinkeln verfolgen, und die Ärztin freute sich als ich ihr Können kommentierte ("so you made a very long cut now. How many threads will you use?"). Während der OP lutschte ich noch an einem Bonbon herum, das ist, glaube ich, jedoch nicht Stand der Technik.

Und heute nachmittag kam der кулер! Mein sehnlichster Wunsch ging in Erfüllung: wir haben jetzt einen rot-silbernen Wasserspender mit Heiz-/Kühl-Einrichtung und Minibar in der Küche stehen. Anfangs brummte er heftig, aber das gab sich. Jetzt kommt rheinquellgleich kühles labendes Nass aus dem blauen Hahn gesprungen!

Die Nespresso-Maschine haben sie kaputtrepariert in der Boutique. Bei uns ging sie nur nicht, jetzt kommt noch Wasser herausgelaufen. Immerhin haben sie den Anruf eines Technikers für morgen vormittag organisiert (Achtung: Konflikt mit Wochenendeinkauf!).

Am Sonntag Abend um Sechs wird die Luftfracht in die Wohnung geliefert, und angeblich auch gleich ausgepackt. Mal sehen!

26. August 2014

Erste Tage miteinander

Die erste Woche gemeinsam in Moskau ist vorbei. IKEA wurde besucht, Möbel in Zimmer gestellt und eingeweiht durch stundenlanges "Einliegen" und Schlumpern in der letzten ferienwoche. Gestern wurde der erste Schultag mit viel Vorfreude und Aufregung angegangen, heute war Renja natürlich schon ein alter Hase und schwadronierte über die Vorteile der Metrostation "Lenin-Bibliothek" gegenüber "Obkhodny Ryad". Beide hatte sie erst einmal durchquert, aber immerhin. Heute morgen brachte ich sie mit dem Auto auf dem Weg zur Arbeit zur Metrostation am Roten Platz. Als sie da mit schwingendem Schritt die Treppen in den Untergrund hinunterfederte, da wurde mir bewusst welche Chancen sie hier hat und wie erwachsen sie doch schon ist ("nicht immer, aber immer öfter").

Ausserdem ging die Nespresso-Maschine kaputt, es wird kein Wasser mehr gepumpt. Der Besuch heute abend in der lokalen Неспрессо Бутик war sehr nett, aber erfolglos. Genauso wie der folgende Entkalkungsversuch. Es gilt wohl das alte Sprichwort des "Maschinist kaputt". Aber der Abendspaziergang tat gut, ich konnte Ulrike noch Äpfel mitbringen. Und konnte beobachten, dass die russischen Wachen die vierfach gestaffelten, rostigen Absperrgitter vor der ukrainischen Botschaft neu mit Silberlack anpinselten. Möglicherweise macht sich das besser im Fernsehen, wenn in ein paar Tagen die Botschaft spontan von Demonstranten umstellt wird. Man wird recht leicht zynisch hier.

19. August 2014

Drei Feiertage

In den letzten vier Kalendertagen lagen drei Feiertage:

  1. Am Samstag um 18:52 Uhr landeten Umrike und Renja mit zwei gültigen Visa und drei vollen Koffern mit Flug LH1470 im Flughafen Vnukovo. Seit 9 (neun!) Jahren Wochenendbeziehung leben wir nun dauerhaft wieder unter einem Dach. Es wird eine spannende Zeit werden, nicht nur wegen der vielen Neuigkeiten, die wir hier in Moskau nun gemeinsam entdecken können. Nein, auch wegen der vielen Änderungen, die wir aneinander entdecken werden, ob wir nun wollen oder nicht. 
  2. Am Sonntag war ich genau 10'000 Tage bei Sandoz und Clariant angestellt. Am 1.4.1987 fing ich damals in Basel im Bau 240 an, einer alten hölzernen Baubaracke für das Hochhaus der Finanzabteilungen. Aber der Bau war noch gut genug für die Ingenieure. Ich erinnere mich noch an die Frühstückspausen, in denen noch im Raum geraucht wurde: die Stube war so klein, dass jeden Monat einmal der Rauchmelder ansprang und die Feuerwehr ausrückte! In den 10'000 Tagen habe ich für 12 Firmen gearbeitet, einschliesslich der 14 Tage für Hoechst in Prag, und unzählige Aufgaben erledigt, die gar nichts mit Chemietechnik zu tun hatten. Dafür meistens irgendwie mit Menschen, und das ist ja auch gut. Und nächste Woche, am 30. August, bin ich 1'000 Wochen bei Clariant!
  3. Und heute ist Renjas Geburtstag! Wir feierten am Nachmittag in der Bank, indem sie (und Ulrike) eine Vollmacht für mein Konto erhielt und einen Antrag auf die Mastercard Black Edition World  stellte. Der Traum eines jeden Mädchens von 17: unbegrenzter Zugriff auf das Konto der Eltern! Leider war der Spezialist (kam aus Ufa im Ural) zwar sehr freundlich aber  unterdurchschnittlich produktiv, und das Prozedere dauerte 2 Stunden! 
Wir feierten die Kumulation der Festtage mit der Hauptperson Renja heute zuerst in der Sky Lounge des Swissôtel im 34. Stock mit Fensterplatz. Renja wurde schon an der Rezeption mit "Happy Birthday" begrüsst, sie hatten die Reservation gut gelesen. Wir genossen die unbegrenzte Aussicht bei wunderbarer Sonne im Abendlicht. Danach wandeten wir noch ein wenig in das nahegelegene kaukasische Restaurant "Jonjoli" oder джонджольи. Dort gibt es feine Schaschlik und Weinblatt-Rouladen, nur die Limonaden waren etwas sehr sirupig süss. 
 Dann fuhren wir ohne Navigation nach Hause, und ich zeigte Ulrike alle Radarfallen und Polizistenstationen am Weg. Ich kenne mich schon gut aus, aber es hat sie - glaube ich - nicht so interessiert. 

9. August 2014

Zwischenstand Visa

Vielleicht lohnt es sich einen Zwischenstand zum Prozess der Visa-Anträge für Ulrike und Rnja zu geben. Wer weiss schon, wann der Endstand berichtet werden kann ...

Seit Januar sind die Daten verfügbar, die eine Beantragung erlauben. Seit 1. Mai bin ich sogar mit Arbeitsvertrag eingestellt, falls das überhaupt wichtig ist (normalerweise entscheidet nicht der Arbeitsvertrag an sich, sondern die Bewilligung der Beschäftigung ("Kontingentsentscheid")). Zieldatum für die Ausstellung der Visa war von Anfang an der 1. August, Reisedatum nach Moskau soll der 16. August sein, Schulbeginn für Renja ist am 25. August.

Das klingt doch wie ein guter Plan, oder? Mit "Spatzig".

Ende Juli erhielt ich die Mail von unserem (Schweizer) Rechtsanwalt hier in Moskau, dass die Einladung für Renja vorliegt, aber leider die Einreise für Ulrike abgelehnt wurde. Grund: der Rechtsanwalt hatte den falschen (=zu alten) Pass von Ulrike für den Antrag verwendet! Also nochmal von vorne, mit dem neuen (und seit Januar kommunizierten) Pass. Die Einladungen sollten in Moskau fertig werden am 15. August - das geht aber dann natürlich nicht aus mit der Visumsausstellung in Frankfurt und den Reisedaten. Also stellte ich in meiner Eigenschaft als Geschäftsführer einen Eilantrag ans Ministerium, die Einladungen bitte bis zum 1. August zu erstellen. Und tatsächlich: die Einladungen waren fertig am 1. August! Prima! Nur leider erteilte der Staatsschutz FSB (früher "KGB") seine Genehmigung nicht die Einladungen zu versenden. Bis gestern, eine volle Woche lang, ohne Begründung. Gestern kamen dann die Einladungen in der Kanzlei des Rechtsanwalts an.

Und?

Irgendwas in Renjas Namen war falsch geschrieben, damit stimmte die Einladung nicht mit dem Pass überein und ist also wertlos. Sie wurde sofort retourniert, soll am Montag zurückgeschickt werden, geht über Nacht nach Frankfurt. Dann müssen Ulrike und Renja im Visaservice alles ausfüllen und unterschreiben, und unter Berufung auf die gebuchten Flüge so genannte "Blitz-Visa" bestellen. Die kosten wahrscheinlich ein Vermögen, aber du bekommst sie am gleichen Tag.

Es werden noch Wetten angenommen, ob die beiden wirklich am nächsten Samstag nachmittag in Domodedovo aus dem Flieger krabbeln ...


PS.: Die unzähligen verwirrenden Telephonate mit sich zum Teil widersprechenden Auskünften habe ich mal weggelassen. Es klärte sich zum Beispiel erst gestern (!), dass Renja bei der Visumbeantragung ausser der obigen Einladung tatsächlich einen (natürlich negativen) HIV-Test vorlegen muss. Sie hat einen, aber nur weil wir uns gesagt hatten wir lassen ihn "sicherheitshalber" mal machen - geschrieben stand es nirgends.

8. August 2014

Er hatte einen ganz eigenen Stil.


Diese tolle Frisur war wohl rebellisch, als König Herodes ...

Nein, Quatsch.

... als Dr. Oetker den Vanillepudding in Fischform zum Stürzen erfand.

7. August 2014

LGM

Das Letzte Glaziale Maximum ("LGM") Moskaus mit Wassertemperaturen zwischen 6 und 8 Grad unter der normalen Wassertemperatur fand heute Morgen um etwa 06:48 Uhr statt.

Der Boiler hat nicht aufgeheizt, obwohl der Durchflusshahn aufgedreht war und die rote Kontrollleuchte brannte. Naja, wenigstens schwitzt man dann nach der Dusche nicht mehr.

Heute Nachmittag war ich im American Medical Center zum Fädenziehen. Alles sehr sauber und ordentlich, die Ärzte (eigentlich habe ich nur Ärztinnen gesehen, dazu später mehr) sprechen alle sehr gutes Englisch und bilden sich in Italienisch weiter. Nicht alle, aber die eine Hautärztin die dann doch nicht für mich zuständig war sondern mich an die Chirurgin weitervermittelte. Diese war der Typ Christine Neubauer mit usbekischem Einschlag, mit schwarzen Funkelaugen über dem Mundschutz und ständigen erfolglosen Bemühungen den weissen Kittel über dem Dekolleté zu schliessen. Die eleganten türkisfarbenen High-Heels ersparten ihr dann auch das Treppchen. Sie führte mich in den Operationsraum, machte den ganzen Desinfektionsklimbim, und versuchte die Fäden zu ziehen. Das wurde dadurch sehr erschwert, dass der Kelkheimer Hautarzt für die Nähte im Gesicht einen extrem dünnen und farblosen Faden genommen hatte. Da fehlte dann halt heute die OP-Lampe und -Lupe! Aber sie holte bei vier der sechs Exzisionen die Fäden raus. Dienstag muss ich nochmal hin, für die restlichen Fäden.

Nachts 22 Grad

Es ist schon ungewöhnlich heiss in diesem Sommer in Moskau. Seit Wochen steigt das Thermometer tagsüber auf rund 30 Grad, das ist generell viel und in einer Stadt noch mehr. Die Prognose ist nicht besser für die nächste Woche. Wenn dann Ulrike und Renja (hoffentlich!) landen, soll die Temperatur ein Wenig auf rund 25 Grad sinken. Aber immer noch sonnig, und sehr trocken.
Die Temperatur am Tag ist mir ja weitgehend egal, denn ich verbringe den Tag zum allergrössten Teil klimatisiert im Büro, und etwas im Auto. Beim Weg von der Wohnung zur Tiefgarage und am Abend zurück komme ich dann schon in's Schwitzen!
Schlimm sind jedoch die Nächte. Eben noch, um 23:00 Uhr, war die Aussentemperatur 24 Grad. Alle Fenster sind offen, aber wegen der umliegenden Häuser geht kein richtiger Luftzug (es geht aber eh kein richtiger Wind wegen der anhaltenden Hitze!). Ich mag es nicht in dieser Wärme zu schlafen, ich erhole mich dann nicht.

Heute war dafür der erste Tag ohne Warmwasser. Die Heizungszentrale wird repariert. Es hing auch ein Zettel an der Haustür, trotzdem war der wohnungseigene Boiler heute morgen nicht eingeschaltet und die Dusche kalt. Nun, in diesem Fall war die allgemeine Temperatur von Vorteil, denn auch das Wasser hatte Aussentemperatur von über 20 Grad und war damit erträglich lauwarm für eine Dusche. Aber der Boiler läuft jetzt, bis zum 14.8.

Das Abendessen hatten wir heute im kaukasischen Restaurant Jolli John gegenüber dem Paveletzkaya-Bahnhof. Sehr gute Vorspeisen, leckere Limonaden (zB Sanddorn/Granatapfel, oder Schwarze Johannisbeere/Kumquat) und ein toller Spiess. Leider war die Rechnung auch ordentlich, und für acht Personen. Richtig amüsant wurde es aber, als die Bedienung Nuna uns beim Zahlen sagte, dass sie nur Cash akzeptieren. Keiner von uns hatte 15'000 Rubel in bar dabei! Ich marschierte zum nächsten Geldautomaten, der aber pro Abhebung nur 5'000 Rubel herausgab. Ich hob also dreimal 5'000 Rubel ab. Die Kollegen hatten ob meines langen Fernbleibens schon gedacht ich hätte mich aus dem Staub gemacht ...

824: „Muß di ni argern, dann geit di dat goot“

Sinnspruch an der Wand des Glücklichen Matthias : Darunter schmeckte uns Pannfisch und Schlemmerteller (nein, nicht der vom Horst!).  Danach...