13. Mai 2015

Severodonetsk - Dienstag

Schweinesteak mit Grill- und Essiggemüse gab's zum Abendessen. Klingt jetzt geschrieben echt schlimmer als es schmeckte. 

Das Hotelrestaurant "Park" hatte eine wirklich umfangreiche Weinkarte, und offerierte 15 Whiskies - die meisten allerdings von namentlich völlig unbekannten Destillerien. Schottische Geheimtips oder lokale Mondscheinproduktion?

Das Aufstehen fiel leicht trotz unruhiger Nacht. Ich war froh, Shampoo und Duschgel eingepackt gehabt zu haben, denn da lag nix parat in dem grossen Bad! Der Kollege schlief etwas länger (Zeitverschiebung, hahaha!), das gab mir Gelegenheit meine Käse-Sandwich zu essen und mich dabei mit der Rezeptionistin Marina zu unterhalten. 

Sie hielt mich wegen meines waschechten morgendlichen "Dob'r'utra" zunächst für einen Landsmann (wir sind, man erinnete sich, im russischsprachigen Teil der Ukraine) und fing an irgendwas zu erzählen. Wir wechselten dann aber bald auf Englisch. Sie gab mir ihre Perspektive des Landes, als sie über die ukrainischen Politiker schimpfte: 'rin in die Kartoffeln - ganz schnell bereichern - raus aus die Kartoffeln. Sie vermisste Visionen und politischen Gestaltungswillen. Diese Eigenschaften fand sie jedoch (wohl nicht ganz zu Unrecht) bei - Putin! Sie bezeichnete den Präsidenten-Premier-Ringelpietz Putin - Medvedyev als "Teamwork", und beneidete die Russen um ihr neues nationales Selbstbewusstsein. Die Annexion der Krim passte da nicht so recht dazu, das war dann immer noch "unsere (ukrainische) Krim". Ihr Bruder ist in der ukrainischen Armee (Werkstätten, oder sowas) und berichtete ihr von angeblich bewussten Fehlleitungen und Falschbefehlen in ukrainischen Truppenteilen, die zu Todesfällen führten -  aufgrund von Bestechlichkeit dieser Offiziere! Für sie, eine junge Frau von vielleicht 25 Jahren, war es eigentlich nur eine Frage der Gelegenheit das Land zu verlassen. Marina war sicher nicht auf dem Maidan gewesen, und würde weder Poroshenko noch Timoshenko wählen gehen, aber leben im Separatistengebiet war ihr auch zu armselig (wenn auch motivierend. Putin!). Was fehlte ihr? Ein nationaler Demagoge! 

Was sagte Brecht über nationalistische Demagogen? "Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch!"

Die Autofahrt von Kharkiv nach Severodonetsk im Toyota dauerte wirklich über vier Stunden. Ohne die bessere Schlaglochübersicht in dem sitzhohen Land Cruiser hätte es wahrscheinlich noch länger gedauert, denn unser orts- (d.h., schlagloch-) kundiger Fahrer schaffte doch eine Reisegeschwindigkeit von über 100 km/h! Unterbrochen wurde die Fahrt nur für Rauchpausen und Passkontrollen. 

Verlangsamt wurde die Fahrt durch eine einzige zerbombte Ponton-Brücke. Direkt daneben standen noch einige zerstörte Häuser, Kollateralschäden beim Angriff auf die Brücke. Sonst sahen wir keine militärischen Schäden, nur indirekte Kriegsfolgen wie stillstehende Raffinerien. 


Dafür gab es auch zwischen den Tankstellen noch Sprit zu kaufen:


Insgesamt fünf Strassensperren hatten wir zu passieren, nur eine davon war etwas aufwändiger und dauerte wegen einer Nachfrage etwas länger. Sonst kamen nur bewaffnete Soldaten mit Kevlarweste und wollten unsere Pässe sehen, einmal musste der Fahrer auch unsere Koffer aufmachen. Wir Passagiere wurden kein einziges Mal angesprochen, noch nicht einmal angesehen! Die Soldaten waren gut ausgerüstet, aber recht aberteuerlich gekleidet mit ihren Sturmhauben, Banderas, Sonnenbrillen und Stiefeln oder sogar Sportschuhen!


Ukrainisches Fähnchen sichtbar an der Windschutzscheibe, und Dashcam im Stoffbeutel (wegen des Photographierverbots):


Nicht nur wir wurden kontrolliert:


Eine "Zivilstreife" (hier war ich mir auf einmal nicht so sicher ob es gut war, dass sie meine Kamera sahen ...)


Im Hotel MIR in Severodonetsk stellten wir unsere Koffer ab und fuhren ins Werk. Zum Glück galt mein alter Werksausweis vom März 2014 noch, da ging es flott durch's Drehkreuz. Die Seriennummer des Laptops wurde gegen die angemeldete Nummer abgeglichen (der Kollege kommt schon seit Jahren mit der gleichen Nummer durch, obwohl sein Laptop inzwischen zwei mal wechselte!). 

Es gab ein Managementgespräch in kleinen Kreis (leider recht einseitige "Musik von vorne"), und ein Townhall Meeting mit über 70 Teilnehmern und einigen guten Fragen. Beides verlief positiv und mit gutem Echo. 


Abends dann gingen wir zu zehnt in das " Golden Palace", genossen armenische Küche, Vodka und Säfte. Der Kollege versuchte noch das Rückspiel München - Barcelona auf den Fernseher zu bekommen. Als es ihm endlich gelang, da passte ihm der Spielstand nicht mehr!

Im Hotel MIR lümmelte am Abend ein OSZE-Mann in der Lounge und begrüsste seine heimkehrenden Kollegen mit einem zynischen "Hi there! Surviving?"

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