7. März 2016

Yakutsk im Allgemeinen

I

Wir lieben, scheint's, die bewohnbaren Extreme: 2012 waren wir im heissesten Ort (Death Valley), jetzt ging es in die kälteste Stadt der Nordhalbkugel, Yakutsk! 

Natürlich wird ein erster Besuch in Sibirien gut und vielseitig vorbereitet. Aber schon vor allem Einlesen bestehen ja Vorurteile (Kälte, Mücken, unendliche Wildnis "So weit die Füsse tragen", ...), die bei einem so kurzen Besuch wie unserem unmöglich alle kalibriert werden konnten. 
Mit einem Vorurteil müssen wir jedoch aufräumen nach unserem Besuch: es gibt dort definitiv keine Wildtiere wie Bären, Wölfe oder Mücken! Wir haben kein einziges Exemplar solcher Blutmonster gesehen!

Aber im Ernst: Zwei Tage unter ständiger Betreuung durch unseren Guide Valentin können ja nur Ausschnitte zeigen. Und wir waren in der Provinzhauptstadt Yakutsk und dem UNESCO-geweihten Touristenmagnet der Lena-Felsen - nicht in der Provinz der Provinz (von Moskau aus beurteilt)! Trotzdem fielen wir schon als Ausländer auf. Wir wurden fast überall freundlich und sogar manchmal auf Deutsch begrüsst. Das ist schon merkwürdig, wenn man auf einem Waldpfad vorher nie gesehene mongolisch aussehende Yakuten trifft, die einem lachend ein "Gutän Morrgän!" zurufen! 
Wie erwartet war das Wetter schon etwas frühlingshaft und warm. Den ganzen ersten Tag schien die Sonne aus einem wolkenlosen blauen Himmel. Die Luft war trocken und glasklar. Es ist trotzdem immer noch herzhaft, den ganzen Tag bei -14 Grad draussen zu sein. Wir waren aber durchaus gut gerüstet und hätten noch (ein wenig) tiefere Kälte verkraftet. Eine Art Skikleidung ist gut, aber eine Kapuze am Anorak dazu ist Pflicht. Der Wind kann sehr schneidend sein. Nur die Füsse waren irgendwann kalt. Die Yakuten hatten dahegen diese Fellstiefeletten mit Filzsohle, und unser Valentin bestätigte die hohe Isolationsfähigkeit der Sohle. Wir sahen die vielen Fellmäntel und -mützen und verstanden auch diese Wahl.

Als erstes zog ich jedoch meine Brille dauerhaft aus. Sie beschlug und vereiste hoffnungslos, sobald Atemluft sie traf. Das Lesen war dadurch etwas eingeschränkt, aber das Leben war auch ohne Details recht gut machbar. 

Die Tour war von Bolot sehr gut gestaltet. Das Programm war ja weitgehend der Standard, wurde aber wegen des sonnigen Wtters mit guter Weitsicht um eine Snowmobil-Tour auf den Berg erweitert. Der erste Tag war eine Tour in Yakutsk selber, der zweite Tag eine längere Fahrt mit dem Minivan flussaufwärts zu den Lena-Felsen. Ich werde über die Tage separat berichten, hier nur einige generelle Beobachtungen, wie üblich üppig bebildert. Zunächst zur Geographie: Wo waren wireigentlich?


Die Topographie Ostsibiriens ist alles andere als flach. Übrigens liegen von hier aus gesehen Beringstrasse und Amerika im Osten!


Hier unsere Hauptorte in der Stadt Yakutsk und an den südwestlich rund 140 km entfernten Lena-Felsen:


Und so authentisch sah der "Empfang" im Flughafen durch drei fernreisende Blogger (die mit uns nichts zu tun hatten, aber in ihren orangen Anoraks so "echt" aussahen) aus. Sie fuhren die nördlichste Fernstrasse hoch, von Magadan aus immer nach Norden. Der südliche Teil der Strecke bis Oymyakon wurde von Gulag-Gefangenen gebaut und heisst deshalb "Strasse der Knochen". 


Man kann es nur schlecht erkennen, aber das Thermometer am Rathaus zeigt bei morgendlichfrüher Ankunft im Hotel "Lena" grade mal -18 Grad. Ein Klacks!


Das einzige uns bei der Fahrt zum Hotel von Bolot vorgestellte Gebäude war die Zentrale des FSB (ex-KGB):


Die Strassen waren zwar schneefrei, aber der Asphalt morgens eisglatt. Das gab dann coole Drifting-Szenen an den Kreuzungen!



Die Stadt steht vollständig auf Permafrost-Boden. Das erfordert natürlich eine besondere, isolierende Bautechnik, damit der Boden unter den (warmen) Böden der Häuser nicht auftaut! Die wenigen erhaltenen Holzhäuser wurden daher auf 2-3 Lagen Blockholz gestellt, um 50-100 cm Luftpolster zu erreichen. Nicht immer mit langfristigem Erfolg:


Moderne Bauten stehen auf 15-25 Meter tiefen Pfahlfundamenten, die im Eis verankert sind, und 1-2 Meter Luftpolster bieten. Der Hohlraum wird meist mit schmuckem Wellblech verkleidet und als Abstellraum genutzt. Manchmal unterstützen noch V-förmige Kühlaggregate die Stabilität des Baugrunds. 


Natürlich müssen auch die Eingänge hochgelegt werden, man sieht den roten Windfang mit Treppenzugang auf dem Bild. 

Geheizt wird mit Fernwärme aus dem Gas-Heizkraftwerk. 


Der dauernde Frost ermöglicht ganz neue Gestaltungsmöglichkeiten für Stadtschmuck. Frische Rosen draussen im Winter? Kein Problem - einfach in klares Eis einbetten und auf einen Eissockel stellen!


Fischverkauf aus Bananenkisten? Kein Problem! Schon gar nicht, wenn man eine solche fesche Uniform im allgegenwärtigen Tarnmuster trägt. 



Die Werbung für das Kinofilm-Festival ist natürlich auch aus Eis. 


Und erst die Spielplätze! Bei acht Monaten Winter werden überall in der Stadt Rutschen aus geschnittenen Flusseis-Blöcken gebaut. Die sind schön schnell, kann ich euch sagen!


Oder es werden Rutschbecken gleich in das Eis des Sees gefräst. Es war selbst für den gelenkigeren Valentin nicht so einfach aus der etwa einem Meter tiefen Eis-Kalotte wieder herauszukommen. Aber die Wellenrutsche war lässig!



Unser Betreuer für das Wochenende war Valentin, ein (der!) Deutsch-Dozent an der Yakutischen Universität. Er sprach ausgezeichnet Deutsch, das er sich in der Schule, durch Lesen, diverse Internet-Quellen und ein Austauschsemester in Innsbruck beigebracht hatte. Ein netter Vater von zwei Kindern, die Familie wohnte in einem 10 km entfernten Vorort. Ich versprach ihm (statt Trinkgeld) für seine Vorlesungen für 5 Studenten ein paar Bücher mit Kurzgeschichten zu schicken; er kannte nämlich Dürrenmatt nicht, obwohl er seinen Master über die linguistischen Unterschiede zwische Deutschland, Österreich und der Schweiz geschrieben hatte. Es gab da schon tolle Augenblicke, wenn du in einer Holzhütte in der Mitte Sibiriens (s. Bild) deinen Tee trinkst und dich über die Bedeutung des Genitivs im Deutschen unterhalten kannst! Oder eben auf der Nachtfahrt durch leichten Schnee die Tunnel-Parabel von Dürrenmatt nacherzählst. 


1 Kommentar:

824: „Muß di ni argern, dann geit di dat goot“

Sinnspruch an der Wand des Glücklichen Matthias : Darunter schmeckte uns Pannfisch und Schlemmerteller (nein, nicht der vom Horst!).  Danach...