14. Juli 2019

810. Plastikmüll auf Svalbard

Als die Antigua in Longyearbyen am Pier anlegte und wir anfingen auf- und auszuräumen, war ein großer und beschwerlicher Teil die Entsorgung des Mülls. 
Der Hafen ist gut darauf vorbereitet und stellt große Container für jeden Mülltyp bereit. 

Der organische Abfall der Küche, vom Soßenrest bis zur Bananenschale, wurde übrigens mit einem presslufthammergroßen Pürierstab in einem Bottich täglich fein gemahlen und unbemerkt über die Reling ins Meer entsorgt. Natürlich fiel nach 20 Tagen auch eine Menge Verpackungsmaterial von der Küche und Bar an, Kartons und Weinflaschen und Aludosen. Das niederländische Bier (90 Fass á 20 Liter für alle Sommertouren!) war in luft- und lichtdichten, platzsparenden Plastikblasen mitgebracht worden, die recycliert werden können. 

Schockierend war jedoch die Menge an Plastikmüll auf einem Haufen zu sehen, den wir beiläufig oder gezielt bei den Landgängen gesammelt hatten (s.a. Blogpost #800). 



Auf dem Bild fehlen schon zwei Handkarren mit 10 weißen Abfallsäcken, ich war nicht schnell genug und das Pier musste ja auch frei gehalten werden. Auch das Seil und die Bojen waren neben unzähligen Platikflaschen Strandfunde, sie trieben wie die Netze vorher im Arktischen Ozean und Atlantik herum und waren eine ständige Gefahr für die Tiere. 

Selbst am Ufer konnten sie noch töten. 



Eine Schande sind sie allemal. 












12. Juli 2019

809. Longyearbyen - Erste Eindrücke

Zwischen Frühstück und Fahrt zum Flughafen im Großraumtaxi war noch genug Zeit vom Hafen in‘s Zentrum und zurück zu laufen. Und ein Besuch diverser Shops und des Bibliotheks-Cafés lag auch noch drin!

Erstmal zum Namen der Stadt. 
Mr. Longyear war ein Abenteurer-Unternehmer, der recht früh die Kohle- und Erzvorkommen von Svalbard abbauen wollte. Dazu errichtete er ein kleines aber rasch wachsendes Camp an der Stelle des heutigen Longyearbyen. Die Silbe -by- bedeutet „Stadt“ (wie in Buller!), und -en steht für den Artikel „die“.  Somit bedeutet Longyearbyen nichts anderes als „Die Stadt des Longyear“!

Besondere Auffälligkeiten konnten sich in der knappen Zeit nicht entfalten, wären aber auch wahrscheinlich durch die chinesischen Touristen des Kreuzfahrers Silver Cloud verdeckt worden. 

Hier ein paar Eindrücke aus der 2000-Seelen-Stadt auf 78° N. 













14 Leute aus unserer Gruppe hatten den gleichen Flug gebucht, und sie und ihr Gepäck wurden in einen 16-Plätzer ohne auffällig großen Kofferraum „gepasst“. Die Fahrt war nicht lang, nicht bequem, und lustig. 

Ich habe etwas Geld abgehoben am nördlichsten Bankomaten der Welt, und das Benzin an der nördlichsten Tankstelle der Welt ist günstiger als in Ingolstadt (oder anderswo in DE). 

Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass ich wiederkommen werde. 

808. Tordenskjoldbukta und Ymerbukta

Die letzten Landgänge der Reise. Fast alle in unserer Gruppe spüren das nahende Ende und verhalten sich entsprechend einer Mischung aus Freude und Abschiedsweh - natürlich in individueller Gewichtung! Auf jeden Fall werden die Gespräche lauter und es wird mehr gelacht, manche holen kurzfristig die während der bisherigen Reise verpassten Kennenlerngespräche nach. 

Wieder an der vertrauten Westküste, geht die Antigua etwas nördlich des Eingangs des Isfjord in der Torskjoldbukta vor Anker. Der übersetzte Name des Tundragebiets („Totmann-Bucht“) schien leider gut gewählt: nirgendwo vorher fanden wir so viele Rentierskelette! Vor zwei Jahren strandete in der Bucht ein Pottwal, von dem noch Wirbelsäule, Kopf und die Unterkiefer mit ihren handtellergroßen Zahnlöchern zu sehen waren (die Zähne waren natürlich alle weg!). Das wenige verweste Fleich an den Knochen stank auch jetzt noch erbärmlich. 



Viel schöner und richtig spannend wurde es dann an der nahegelegenen Bucht mit ihrer schroffen Klippe. Drei Tierarten konnten wir beobachten: Seehunde, Gryllteiste und Thorshühnchen. Letzteres sahen wir sogar auf seinem Nest - eines der angeblich nur 50 brütenden Thorshühnchenpaare auf ganz Svalbard. Wusstet ihr, dass bei Thorshühnchen (eine Art der Wassertreter und Schnepfenvögel) das Weibchen um das Männchen balzt und die Männchen die Aufzucht der Jungen übernehmen? Auf den Bildern sieht man ein Männchen, es hat eine schwarze „Kappe“. 





Die Tarnung durch das schöne Federkleid (das ausschließlich während der Brutzeit getragen wird!) in Gestein und Algen des Strandes der Bucht ist perfekt. 



Eine Freude war die neugierige Seehund-Kolonie in der Bucht. Natürlich gingen alle ins sichere Wasser als wir kamen, aber dort schwammen sie ganz dicht an uns heran um ja nichts zu verpassen („Endlich mal Halligalli in unserer Bucht“)! 
[im Geröll hinter dem Seehund am Strand brütet übrigens das Thorshühnchen]





Wir hatten am Strand ein etwa 12 m langes angeschwemmtes Reusen-Netz vorgefunden, schön stabil vernäht und schwer. Als wir im Wasser den Sand herauswaschen wollten und die Verschlingungen lösten, entdeckten wir auch hier wieder das völlig verhedderte Skelett eines Rentiers; wahrscheinlich versuchte es an den starken Seilen des Netzes den Bast vom Geweih abzuscheuern und blieb dabei daran hängen. 



Die Seehunde schienen unsere Aufräumaktion wieder toll zu finden und beobachteten sie aus nächster Nähe. 



Und von der Steinklippe aus, dicht über dem klaren Wasser des Atlantiks entdeckten wir noch eine Gryllteiste mit ihrem schwarzen Gefieder und leuchtend roten Beinen und Füßen. Übrigens ist auch der Schnabel innen vom gleichen Scharlachrot. 



Häufig rüttelten über uns Seeschwalben und achteten darauf, dass wir nicht zu nah an ihre Nester kamen; falls das doch einmal aus Versehen geschah, stießen sie mit schrillen Schrei auf den höchsten Punkt des Übeltäters herab - der dann sofort irgendetwas in die Höhe hob und die verbotene Zone gebückt und hastig verließ!



Beim zweiten Landgang des Tages und (vor-)letzem der Reise um Spitzbergen waren wir wieder in der Ymerbukta, an der Nordküste des Isfjords gegenüber Longyearbyen. Diesmal erforschten wir aber nicht Eis oder Eisberge, sondern wanderten über die Seitenmoräne zu einer alten, zerfallenen Pomoren-Siedlung. 







Der Abend wurde dann für einige zum Morgen. 

11. Juli 2019

807. Seesturmvögel vor Sørkappøya





Nachdem gestern zwei Landgänge auf der Insel Barentsøya wegen starker Dünung und Brandung ausfielen (und wir hatten ja sowieso Captain‘s Dinner), entschloss sich Rolf durchzufahren und erst kurz vor dem Abschlußziel Longyearbyen im Isfjord ein oder zwei Landgänge einzulegen. Dann lässt sich die Ankunftszeit realistischer einschätzen als auf der Langstrecke mit Gegenwind!

Also brummt der Motor konstant, nach Möglichkeit unterstützt von Segeln. Auch ich habe ein Segel gesetzt! (naja, habe beim Setzen geholfen). Es gab späteres Frühstück, was dem Chansonsänger und späten seinem Publikum gelegen kam. Um Elf hielt Christine einen Vortrag über den Polarfuchs in seiner weißen und (dominant vererbten) blauen Varietät; durch das Einschleppen der Ostfeldmaus in die russische Siedlung Grumantøya wurde auch Spitzbergen zum Fuchsbandwurm-infizierten Gebiet. 

Das Mittagessen wurde wegen der Befürchtung heftigerer Dünung bei Umfahrung des Sødkappen am Sitzplatz serviert; zum Glück war das Torkeln á la Dinner for One dann doch nicht so schlimm. Statt Dünung kam in diesem Zusammenfluss verschiedener Luft- und Wasserströme draußen jedoch Nebel mit Sichtweiten von vielleicht 200 m auf. 





Ich versuchte mein Photographiekönnen zu vertiefen mit dem Ziel, einen Seesturmvogel im Parallel-Tiefflug in nächster Nähe zum Schiff abzubilden. Meine Fragen an die anderen Photographen an Deck betrafen vor allem die Einstellung des Autofokus bei schnell bewegten Objekten und leichtem Tele (Bereich 80-105 mm). Ich kam zum Schluss, dass für die Canon EOS R die Einstellung der Wahl der AI-Fokus („Servo“) mit mittenbetonter Bereichsmessung und sehr kurzer Verschlusszeit (Tv, 1/4000) sein sollte. 
Bei eisigem Wind und Dunst harrte ich lange aus, aber es hat sich gelohnt!









Rolf erzählte am Nachmittag noch etwas über polares Eis, mit vielen interessanten Fakten. Der aktualisierte Vortrag begann natürlich mit einem Bild unseres gestrigen Packeis-Abenteuers. Man unterscheidet gefrorenes Meereis in Schollenform (aufgebördelt am Rand, aufgeschichtet durch Wellenschlag, zusammengewachsen, flache Unterseite), und von Gletschern gekalbte Eisberge (kompakter Schnee in Schichten, Farbvarianten, Dichte 900 kg/m3 und somit 90% unter Wasser). Das Gletschereis der Arktis kommt wie das Treibholz zum größten Teil aus Nordsibirien, und treibt in 3-4 Jahren auf der Fram-Straße bis vor die Westküste Grönlands. Fritjof Nansen hatte die Idee sich mit seinem Schiff „Fram“ bei der sibirischen Wrangel-Insel in eine große Eisscholle einfrieren zu lassen und diesen Transportweg in einer dreijährigen passiven Drift zu beweisen (er hatte Vorräte für sogar 5 Jahre an Bord, und außerdem persönlich jede Menge Chuzpe!). 

Guide Christina erzählte abends noch von Spitzbergen in den anderen Jahreszeiten (sie und Rolf haben in Longyearbyen eine Wohnung), mit sehr schönen Bildern und einem Bärenkinder-Video. Sie erwähnte aber auch die tragischen Vorfälle mit Polarbären, die gar nicht so lang her sind. 

Die beliebte Sitzbank mit dem besten Windschatten, oben an der Brücke:



806. Gineivrabotten. Im Packeis gefangen!

Die ganze Nacht sind wir durch gefahren, immer weiter an der Ostküste Spitzbergens durch den Storfjorden nach Norden. Kurz vor Acht, rechtzeitig zum Frühstück, schaltete Käpt‘n Robert den Motor auf 1/4 Kraft voraus - normalerweise ein Zeichen für den Beginn der Ankerplatzsuche. Heute aber war es die notwendige Sicherheitsmaßnahme bei Erreichen der Treibeisgrenze. Die Antigua war locker von größeren See-Eisschollen umgeben, die sie zwar zur Seite drücken kann, aber auf keinen Fall in ihrer Schraube haben möchte. Das harte Eis kann leicht ein Schraubenblatt abschlagen, also Obacht!







Zunächst genossen wir das eisige Schauspiel von Deck der Antigua aus und warteten vergeblich auf den Eisbären auf der Scholle („In Disneyland klappt das aber besser!“). Als sich die Dünung etwas beruhigte, liessen wir die beiden Zodiacs ins Wasser und sahen uns in vier kleinen Gruppen die Eis-Sache mal in Ruhe und aus der Nähe an. Es waren phantastische Gestalten dabei, hoch aufgetürmtes See-Eis und schroffe Gletscherabbrüche, beides vom Meerwasser verformt und die meisten hellblau oder türkis durchscheinend. Unter Wasser setzten sie sich fort; jeder weiss das natürlich noch aus der Schule (1/7 Regel!). Es ist jedoch eine ganz andere Sache, in einem Meter Tiefe klaren Wassers eine Eisbergkante zu sehen und die vielen darauf liegenden Steine zu erkennen, die irgendwo herabfallen und so als Sediment zum Aufbau des Kontinentalsockels beitragen werden. 











Wir fuhren ganz nah heran und zwischen die Platten hinein. So lange, bis sich zwei riesige Platten vom Wind getrieben hinter uns näherten und in wenigen Augenblicken unsere Fahrtrinne verschlossen: wir steckten im Packeis fest! Die Platten klammerten uns rasch immer mehr ein, und wir hatten überhaupt keine Lust zu erfahren, was sie mit einem kleinen eingequetschten Gummiboot machen würden…






Alle Versuche, die massigen Platten vom Zodiac mit einem Paddel wegzuschieben, schlugen natürlich fehl, nicht das Eis bewegte sich sondern nur das Boot. Guide Christine rief die Antigua über Funk, und bekam als „Erste Hilfe“ die Anweisung, die Spitze des Zodiacs gegen eine der Platten zu stellen und zu versuchen sie langsam mit dem Außenbordmotor in Bewegung zu setzen. Gleichzeitig traf der andere Zodiac mit Guide Alex ein und machte das gleiche Manöver (in entgegengesetzter Richtung, alle Passagiere im Zodiacbug) mit der anderen Platte. 



Es klappte tatsächlich, die Fahrtrinne kam frei! Die große Antigua musste nicht mehr eingreifen. Wir mussten uns an Bord ein paar Sprüche anhören, aber eigentlich waren alle sehr erleichtert, dass so schnell eine Lösung gefunden worden war. Die ganze „Gefangenschaft“ dauerte höchstens 5 Minuten, aber die Sekunden der Bewusstwerdung der brenzligen Situation werden wir so schnell nicht vergessen. 

Abends war dann das festliche, viergängige Captains Dinner, das das trinationale Serviceteam (aus NL, DE und BR, und immer noch ohne Koch!) wirklich prima hingekriegt hatte. Die Stimmung war super, die zum Schiff gehörende Gitarre wurde um Mitternacht gestimmt und Arzt Christian gab unter viel Beifall ein wirklich gekonntes Konzert mit Chansons. 



805. Kvalvågen und das Iguanodon

Kaum war die Gletscherfront des Markhambreen mit ihren imposanten Strukturen und seltenen Gesteinsfunden (Geode!) verlassen, da fuhren wir weiter nach Norden und gingen einige Meilen weiter windgeschützt vor Anker. Rolf hatte dazu die Kvalvågen-Bucht („Walbucht“)  ausgesucht, an der Grenze zwischen Heer Land und Torell Land. Die Spitze des Kaps sah vom Schiff aus wie ein menschengebautes, riesiges Pier - bedingt durch eine mächtige horizontale Kalksteinplatte der Abdeckung. 







Landgang war an einem geschützten Sandstreifchen, versteckt zwischen übereinander gewürfelten Sandsteinquadern mit je mehreren Kubikmetern Volumen. 

Der Ort war anscheinend auch früher, eigentlich sehr viel früher, schon beliebt als Ausflugsziel. Auf einem der Steinblöcke erkannte man sehr deutlich versteinerte Abdrücke eines laufenden, wegen der geringen Größe dee Spuren wahrscheinlich jungen Iguanodons. 



Die Sandsteinplatte war offenbar auch beliebt bei Trappern, Geologen und Helikopterpiloten, denn neben diversen Hütten(ruinen) stand ein Schuppen über einem massiven Betonklotz mit Messgerät-Verankerungen, und - offen und verrostet - vier Kerosinfässer als Eventualitäten-Depot für Helikopter.
 


Ich schloss mich der „Bergziegen“-Wandergruppe an, die den meeresnahen Bergrücken vor dem Singerfjella für Verbesserung der allgemeinen Rundumsicht erklimmen sollte. Durch Fliesserde, Schutt und Schnee arbeiteten wir uns über 300 Meter hoch, allerdings von einigen Pausen unterbrochen. Die schönsten Arktis-Mohnblumen fanden wir in einer kahlen Halde, und sogar den Weißen Polar-Löwenzahn! An der Neigung der Gräser konnten wir die vorherrschende Windrichtung erkennen. 









Der Aufstieg hat sich gelohnt. Wir standen an einer Klippe und hatten wunderbare Sicht hinunter und auf Berge und Buchten. Und von unten wurden wir auch gesehen und sogar photographiert (dank Funk synchronisiert). 













Obwohl der Abstieg durch ein Schneefeld flott ging und mich nicht mehr auf einen Puls 130 brachte, traf unsere Gruppe als ehrenvoller Dritter zum späten Abendessen auf dem Schiff ein. Die andere Läufergruppe war nur Vorletzter!

Schneefeld mit Steinchenhauben:


824: „Muß di ni argern, dann geit di dat goot“

Sinnspruch an der Wand des Glücklichen Matthias : Darunter schmeckte uns Pannfisch und Schlemmerteller (nein, nicht der vom Horst!).  Danach...