3. Juli 2019

793. Eine Hand für dich, eine Hand für‘s Schiff!

Bei unruhigem Seegang ist dieser alte Smutje-Spruch aus der Kombüse ein famoser Rat, und obwohl wir keine starke Dünung hatten und bisher nicht mehr als Windstärke 5 erlebten, schwankt der Fußboden doch erheblich. Wir laufen alle herum als wären wir sturzbetrunken, suchen ständig festen Halt mit der einen (hoffentlich!) freien Hand! Heute geht es der Grobmotorik aber bereits besser als gestern nach dem Einschiffen. 

Nach Bezug der Kajüten gab es während des Wartens auf die letzten Teilnehmer noch Tee und Sand-Marmorkuchen. Insgesamt sind wir 29 Teilnehmerïnnen an dieser Reise, etwas bunter gemischt als die Velotour. Vom Abiturienten bis zur Rentnerin ist - in rechtsschräger Altersverteilung - alles dabei, alles Paare (zT Eltern mit Abi-Kindern) außer mir. Vorherrschender Umgangston ist der des (Bildungs-)Kleinbürgertums. Und ich bin heilfroh die einzige alleinbelegte Kabine zu haben - der Platzmangel darin wäre sonst fast unmöglich zu bewältigen! Für’s Mal gelobt und gepriesen sei mein unbeschreiblich gewaltiges Schnarchen!

Die Dusche wurde eingerichtet, das ging erwartungsgemäß schrubbeldiewutz, weil nix reinpasst. Das Verlängerungskabel mit Mehrfachstecker nahm die erforderlichen Ladeadapter auf, und das iPhone wurde sofort dran gehängt (welcher Apple-Anhänger kennt die reflexhafte Suche nach Steckdosen nicht?). In den Schrank kamen die Sachen zum täglichen Gebrauch und Wechsel, vor der Heizung waren die Bügel für Jacken montiert. 

Wir aßen lecker zu Abend (Spaghettiiiii!) und erhielten dabei noch die notwendigen Instruktionen vom Reiseleiter Rolf, Kapitän Robert und 1. Steuermann Abel. Die Mannschaft (alles Niederländerïnnen) und das Serviceteam wurde vorgestellt. Und der Kapitän bot nach der Vorstellungsrunde eine Wette an: wenn es ihm gelänge alle 29 Vornamen der Gäste wiederzugeben, bekäme er von uns ein Getränk seiner Wahl. Er bekommt tatsächlich sein Getränk!

Ich ging nicht so spät in‘s Bett. Als ich mit Wollsocken an den Füßen und in die Decke eingewickelt lag, da war ich froh, dass ich einschlief bevor mir vom Schaukeln schlecht wurde. Die Helligkeit machte mir dahegen nichts, das Bullauge ist ja auch nicht groß. 

Nach dem Duschen am nächsten Morgen - ich zog mir gerade die Strümpfe an - klopfte es ohne Kommentar laut an die Tür: das Signal für eine Sichtung! Also schnell noch warm angezogen und an Deck! Tatsächlich waren am Ufer, in etwa 500 m, zwei Eisbären und eine Herde von ca. 35 Walrössern zu sehen, bei blauem Himmel und ruhiger See. Alle machten Fotos wie wild, die 600er Tele mit Zweifachextender ragten reihenweise über die Reling (Männer eben!). Meine Bilder mit dem 105er RF-Zoom sind aber (dank der hohen Pixelzahl) auch gut, und bestimmt athmosphärisch vergleichbar. Rolf entschied etwas später mit den drei Zodiacs näher an die Tiere heranzufahren, und wir kamen bis auf 50 m an die Eisbären heran ohne sie zu stören. Es war eine Bärin mit ihrem Jungen, und sie säugte es vor unseren Augen/Linsen! 






An die Walrösser wagten sich die Guides nicht so nah heran, da waren nämlich Jungtiere dabei und Walross-Mütter können dann aggressiv werden. Außerdem versperren Schlauchboote ihren Fluchtweg ins Wasser, das mögen sie gar nicht. Walrösser und Polarbären lagen gerade mal 200 m getrennt voneinander am Strand. 



So waren wir schon vor dem Frühstück fast zwei Stunden auf dem Wasser zur Beobachtung, die in dieser Nähe und Kombination der Tiere außergewöhnlich war. Die Aufregung war groß und die Erklärungen Rolfs zu den Tieren und unserem korrekten Verhalten danach sehr hilfreich. 

Der Tagesablauf war dadurch aber ein bißchen durcheinander gekommen. Es wurde für den Nachmittag noch ein kurzer Landgang, der erste der Tour, geplant; dazu wurden wir noch instruiert im Verhalten an Land („nichts anfassen, schon gar nichts mitnehmen“). Für den Ausflug zog ich mich noch etwas besser an: Gummistiefel, Thermosocken, lange Unterhose, Unterhose, Thermohemd, Fleecejacke, wattierte Jacke, Anorak mit Kapuze, Amedisli, Unterhandschuhe, Skihandschuhe und Thermomütze. In der Isolationsschichtung war es temperaturmäßig erträglich, nur das Putzen der ständig tropfenden Nase wurde für mich kleines, beweglichkeitsgehemmtes Michelin-Männchen fast unmöglich. Die Kamera konnte ich aber sogar mit Skihandschuhen bedienen! 

Wir gingen an einem flachen Strandabschnitt des Sarstengen an Land. Die Guides zuerst, zum Scouting inklusive Laden der Waffen (im aufpilzenden Großwildkaliber 30.06). Die ersten anlandenden Teilnehmer versanken sofort knöcheltief in Fliesserde, und so wurde der Treffpunkt landeinwärts auf festeren Grund verlegt. In drei Gruppen aufgeteilt, machten wir dann eine kleine Runde von 5,4 km und brauchten 3,4 h dafür! Es war nicht sehr schwierig über und auf dem losen Geröll der Endmoräne und des Strandes zu laufen, wir bekamen einfach eine gute Einführung in die karge Botanik Spitzbergens. Und wir konnten ein wahnsinnig neugieriges Rentier beobachten, das sich unserer Gruppe immer wieder näherte - um dann plötzlich aufgeregt und hochnäsig weg zu hüpfen und „unauffällig“ wiederzukommen. 













Neben der Botanik erlebten wir zu querende Schneefelder, Bäche, Kiesstrand, Erosion der Endmoräne, weiß gebleichte Walrosszähne und -knochen, und einen riesigen Wal-Wirbelknochen!





Und leider viel Plastik. Wir sammelten spontan einen Sack voll alter Seile, Netze und Flaschen - und mussten doch das meiste liegenlassen!



Nach dem Abendessen setzten wir die Segel und fuhren mit 7 Knoten bzw. etwa 12 km/h gen Süden. Übermorgen wollen wir das Südkap Spitzbergens umrunden und dann die Ostseite der Insel und andere vorgelagerte Inseln erkunden. Es soll nämlich stürmisch werden, und da liegt und fährt der Kapitän lieber im Windschatten der Berge! Später geht es dann vielleicht wieder an die Westküste zurück (nein, sicher, denn wir müssen ja nach Longyearbyen zurück!) und nochmal hoch an die Eisgrenze. 

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